Bildungsdossier : Ausbildung Vier Punkt Null

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Wenn Heinz Paar sich das unglaubliche Tempo verdeutlichen möchte, in dem die Industrie derzeit ihr Gesicht verändert, geht er ein paar Stiegen herunter. Dann steht der Geschäftsführer von Fischer Edelstahlrohre Austria in der Produktionshalle seiner Fabrik im kärntnerischen Griffen.

„Ich stelle mir vor, wie diese Halle vor zehn Jahren, vor fünf Jahren ausgesehen hat, und dann vergleiche ich das mit heute. Kaum eine Maschine sieht heute noch so aus wie damals. Und in fünf Jahren wird der Unterschied noch krasser sein.“

Wenn Rolf Arnold anderen das unglaubliche Tempo verdeutlichen möchte, in dem die Industrie von heute ihr Gesicht verändert, bleibt der Universitätsprofessor bequem in seinem Bürosessel an der TU Kaiserslautern sitzen, macht eine Kunstpause und sagt dann: „Wussten Sie, dass von den zehn Berufen, die in den USA heute am meisten nachgefragt werden, vor zehn Jahren kein einziger existierte? Brauche ich da noch viel mehr zu sagen, um die Geschwindigkeit der Umbrüche, die wir erleben, zu illustrieren?“

Pioniere der Ausbildung 4.0

Paar und Arnold sind Pioniere. Paar leitet eines der innovativsten Unternehmen in Österreich und der Sozialwissenschafter Arnold ist jemand, der schon von Berufs wegen auf das Erneuern fokussiert ist. Nicht umsonst entwarf er im Auftrag des WIFI Österreich das Lena-Programm für Nachhaltiges Lernen in den Betrieben.

Doch längst stehen nicht nur die Pioniere, die besonders Schnellen, die Eifrigen vor der Frage, wie man Wissen an Mitarbeiter in einer Zeit sinnvoll vermitteln kann, in der es, kaum gelehrt, schon wieder veraltet ist – weil sich Technologien fast im Monatstakt verändern, weil Maschinen im Rahmen von Industrie 4.0 unvergleichlich flexibler geworden sind als früher.

In einer idealen Welt würden die Kompetenzen der Mitarbeiter mit diesen Veränderungen einfach mitwachsen. In der realen Welt ist dafür allerdings doch etwas an Aufwand nötig: „Basisausbildung, die ein Mitarbeiter meist schon mitbringt, und kontinuierliche, arbeitsplatzorientierte Fortbildung gehören heute untrennbar zusammen“, betont Hermann Studnitzka, für die Didaktikkonzepte bei Festo zuständig.

Rolf Arnold sieht das etwas anders. „Wenn man an die neuen Herausforderungen mit den alten Methoden herangeht, mit den Lernmethoden, wie wir sie aus der klassischen Schul- oder auch Lehrlingsausbildung kennen, dann wird man tatsächlich scheitern.“

Doch der Mensch sei ein lernfähiges Tier, das immer schon in der Lage war, sich selbst und unabhängig von äußeren Vorgaben Dinge anzueignen, die es braucht.

„Wenn wir darauf vertrauen, dass es auch ein selbstgesteuertes, intrinsisch motiviertes Lernen gibt, dann können wir auch darauf vertrauen, dass Mitarbeiter sich nötiges Wissen selbst holen oder eben Schulungen einfordern, wenn sie Bedarf haben.“

Arnold könnte Recht haben. Glaubhafte Untersuchungen gehen jedenfalls davon aus, dass wir achtzig Prozent unseres Wissens außerschulisch, im informellen Kontext erwerben. Auf Selbstorganisation zu vertrauen, kann daher tatsächlich der bessere Weg sein als Leute zu Schulungen zu verdonnern, die dann vielleicht auch noch am Bedarf vorbei organisiert werden.

Ansprüche werden komplexer

Denn der Bedarf ändert sich ständig, die Ansprüche werden zunehmend komplex. „Ich will Ihnen dazu ein simples Beispiel geben“, sagt Heinz Paar, „noch vor einigen Jahren hat eine Standardanlage im Wesentlichen einen Knopf gehabt. Auf dem stand Ein – Aus oder, das waren schon die komplizierten Maschinen, Auto – Manuell – Stopp.

Heute werden Eingaben am Bildschirm benötigt, der Maschinenführer muss auch viel mehr Parameter im Blickfeld behalten. Das ist schon ein viel komplexeres Anforderungsprofil.“

Und auch dadurch, dass die Leute immer wieder geschult werden. „Die Innovation, die wir mit beträchtlichen Investitionen geschafft haben, soll nicht daran scheitern, dass die Maschinen falsch bedient werden“, sagt Paar.

Den regelmäßigen Schulungen versucht man bei Fischer Edelstahlrohre Austria allerdings alles Prüfungshafte, Schulische zu nehmen. Bei den einzelnen Stufen der betriebsinternen Qualifikation gibt es zwar durchaus eine – sogar recht strenge – Form von Evaluierung, die dazugehörigen Aufgaben müssen aber nicht in einer Prüfungssituation gelöst werden, sondern dürfen mit nach Hause genommen werden.

Drei Stufen der betrieblichen Fortbildung

Das hat, erzählt Paar, dazu geführt, dass „sogar die alten Haudegen, die der Ansicht waren, dass ihnen von Gott die Gnade gegeben wurde, eine Maschine führen zu können, und die daher Prüfungen prinzipiell ablehnten, sich mit dem System anfreundeten.“ Heute gibt es bei Fischer Edelstahlrohre Austria drei Stufen der betrieblichen Fortbildung: Maschinenbediener, Maschinenführer und Schichtführer.

Ein System, das auch die Kommunikation innerhalb der Produktion erleichtert. „Auf diese Weise sind klare Ansprechpartner in der Belegschaft definiert und man muss nicht jede Änderung jedem Mitarbeiter einzeln ausrichten“, erklärt Paar.

„Uns ist es wichtig, dass die Leute es in den Arbeitssicherheitstrainings wirklich selbst erleben, dass es zum Beispiel hinter einem Gabelstapler ein totes Eck gibt, in dem einen der Fahrer niemals sehen kann“, erzählt Barbara Schlosser, die Personaldirektorin von Opel Wien.

„Oder dass sie ausprobieren, wie es ist, simple Aufgaben mit einem Handschuh zu verrichten, in dem der Daumen zugenäht ist.“ Danach steige die Bereitschaft, auf die eigenen Hände aufzupassen, fast automatisch. Und außerdem werden die Trainingsstationen immer wieder verändert, auch infolge von Anregungen, die aus der Belegschaft kommen.

Lernen werde autonom ablaufen

„Ein gewisses Grundprogramm gibt es natürlich, aber sonst versuchen wir das zu variieren.“ Mehr noch als über vorgegebene Parcours, die letztlich immer auch schon eine Einengung sind, werde in Zukunft das Lernen aber autonom ablaufen, ist Rolf Arnold überzeugt.

„Auf unserer Universität“, erklärt Arnold, der in Kaiserslautern lehrt, „läuft das bereits in vielen Projektgruppen so, dass die Lehrenden erst dann eingreifen, wenn es Erklärungs-oder Konsultationsbedarf gibt. Sonst arbeiten die Studenten aber weitgehend selbständig.“

Heute ist, nicht zuletzt dank Industrie 4.0, ein solches selbstbestimmtes, ausprobierendes Lernen auch im industriellen Kontext möglich. War Echtzeitsimulation von Maschinen noch bis vor Kurzem etwas Exotisches, das es vielleicht in der Pilotenausbildung samt ihren berühmten und teuren Flugsimulatoren gab, aber sicher nichts, das für die Schulungen eines Mittelständlers leistbar wäre, so hat sich die Situation inzwischen grundlegend verändert.

„Die virtuelle und die reale Lernwelt verschmelzen zusehends. Die Simulation kompletter Anlageteile erlaubt das praxisnahe Üben, ohne dabei den Menschen oder die Maschine zu gefährden. So ist es zum Beispiel kein Problem, wenn Roboter am Bildschirm einmal kollidieren, sondern vielmehr eine wertvolle Erfahrung“ sagt Herrmann Studnitzka von Festo.

Morgen Standard, übermorgen veraltet

Der große Vorteil solcher Simulationsprogramme besteht aber nicht nur darin, dass damit geübt werden kann, ohne wertvolle Maschinen zu blockieren oder gar kaputt zu machen. Ein nicht minderwichtiger Punkt ist: Die neuen Lernprogramme und sogar einzelne Lernschritte können sehr leicht verändert und an die individuellen Bedürfnisse der Lernenden angepasst werden, ein unschätzbarer Vorteil in einer Zeit, wo die Innovationen von heute morgen schon allgemeiner Standard und übermorgen veraltet sein können.

Heinz Paar von Fischer Edelstahlrohre Austria gibt daher gern zu: „Auch ich habe keine Glaskugel, die mir sagt, wie die Anforderungen an meine Mitarbeiter in der Zukunft sein werden. Aber gerade deshalb weiß ich, dass wir in unseren Ausbildungskonzepten so flexibel und beweglich wie nur irgendwie möglich bleiben müssen.“

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der Mensch 80 Prozent seines gesamten Wissens außerschulisch, im informellen Kontext erwirbt?

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Von den 10 Berufen die in den USA heute am meisten nachgefragt werden, vor zehn Jahren noch kein einziger existierte?

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