Zertifikatehandel : CO2-Zertifikate: Billiger Dreck?

CO2-Zertifikate IM Mai 2013
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Adam Smith hätte seine Freude gehabt. Eine unsichtbare Hand sollte, wie von dem schottischen Ökonomen 1776 beschrieben, ganz ohne staatlichen Zwang, Kontrolle und Regulierung Klimapolitik auf einem ganzen Kontinent betreiben. Über den Verkauf von Verschmutzungsrechten würden Unternehmen, die effizienter produzieren als der Mitbewerb, belohnt werden. Notorische Dreckschleudern, indes, sollten gezwungen werden, durch den Kauf von CO2-Zertifikaten die tatsächlichen volkswirtschaftlichen Kosten für ihr Handeln zu schultern.2003, als das Emission Trading Scheme innerhalb der EU beschlossen wurde, wehte dieser Geist auch durch die heimische Industrie. „Als es losging, wurde ich dreimal die Woche von englischen Brokern angerufen und gefragt, ob ich nicht Zertifikate kaufen oder verkaufen will“, erinnert sich Gottfried Rosenauer, Energieverantwortlicher beim Faserhersteller Lenzing. Schon damals keimte in dem Techniker allerdings ein Verdacht auf: „Das alles klang eigentlich eher nach Kasino – und gewann eine Eigendynamik, die mit dem Klimaschutz nichts mehr zu tun hatte“, so Rosenauer. Markt ist kollabiert Heute melden sich längst keine Broker mehr bei Rosenauer. Der Markt für Emissionszertifikate ist längst kollabiert. Der Preis für das Recht, eine Tonne Kohlendioxid in die Luft zu blasen, dümpelt derzeit um die 3,50 Euro herum – und wird sich, wie die Preise an den Futures-Märkten signalisieren, auch bis 2020 nicht groß verändern. 30 Euro pro Tonne CO2-Emission waren ursprünglich anvisiert, um das System am Laufen zu halten.Lesen Sie weiter: „11 Millionen Zertifikate zu viel

Bei den derzeitigen Preisen kehrt sich der geplante Lenkungseffekt jedoch um: Ausgerechnet die größten Dreckschleudern produzieren derzeit am billigsten. So lohnt es sich etwa für den heimischen Energieversorger Verbund nicht, das brandneue, emissionsarme Gaskraftwerk in Mellach ans Netz zu nehmen, weil die alten Kohlekraftwerke in Dürnrohr und Mellach weitaus preiswerter produzieren. „Was wir derzeit erleben, ist die Perversion der Energiemärkte“, sagt Verbund- Chef Wolfgang Anzengruber. 99 Prozent gratis Hauptursache für das Scheitern war die inflationäre Vergabe der Verschmutzungsrechte. Rund 90 Prozent der Zertifikate sollten – in einem ersten Schritt – kostenlos vergeben werden, wie die EU-Regelung vorsah. Doch die Mitgliedsstaaten handelten eigennützig – und schütteten übergroße Füllhörner über ihre nationalen Industrien aus. So auch in Österreich. „Die Republik Österreich hat 99 Prozent der Emissionsrechte gratis zugeteilt“, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium auf Anfrage von INDUSTRIEMAGAZIN. Der Markt für die Verschmutzungsrechte hatte – mangels knappem Gut – niemals eine Chance, auf die Beine zu kommen. „11 Millionen Zertifikate zu viel“ Was bleibt, ist die Verwunderung über ein Jahrzehnt voller industrieller Erregung. Von Deindustrialisierungsgefahren, Wettbewerbsverzerrung und administrativem Horror war die Rede, wenn das Gespräch mit Industriekapitänen in den letzten Jahren auf das CO2-Regime der EU kam. Dabei ist heute klar: Nahezu alle heimischen Unternehmen erhielten in den vergangenen Jahren mehr Zertifikate als sie brauchten.Lesen Sie weiter: OMV sitzt auf Millionenpolster

Das bestätigt auch Lenzing-Energiemanager Gottfried Rosenauer: „Die finanziellen Aufwendungen bisher kann man – abgesehen vom administrativen Aufwand – vergessen.“ Der Produktionsrückgang seit der Finanzkrise 2008 hat den Überschuss nicht benötigter Zertifikate nochmals massiv erhöht. Unter dem Strich saß die heimische Industrie Ende Dezember auf einem Polster von insgesamt elf Millionen nicht benötigten Zertifikaten. OMV sitzt auf Millionenpolster Auch die beiden größten industriellen Verschmutzungsrechte-Bezieher in Österreich, die OMV und der Stahlkonzern Voestalpine, kamen glimpflich davon. Der jüngste Geschäftsbericht der OMV zeigt folgendes Bild: Zum Stichtag 31. 12. 2012 ergab sich aus den kumulierten Überschüssen der Vorjahre abzüglich der jüngsten Zahlung ein Überschuss von 5,51 Millionen Emissionsrechten. Kaufen oder bunkern? Die OMV entschied sich für Letzteres. Das Management hätte sie aber an der Börse verkaufen können. Am 27. Dezember zum Beispiel kostete ein Zertifikat in Leipzig 6,53 Euro – damit hätte der Verkauf der überschüssigen Papiere der OMV an diesem Tag 36 Millionen Euro eingebracht. Relativ teuer für die Voestalpine Wohl am teuersten ist bislang in Österreich die Voestalpine aus dem Ablasshandel ausgestiegen. Bis 2012 bekamen die Linzer regelmäßig zu wenige Zertifikate zugeteilt. In den Jahren, als die Scheine noch deutlich teurer waren, mussten sie ordentlich zukaufen. Dem Linzer Stahlkocher fehlten in der zweiten Handelsperiode bis 2012 rund 1,85 Millionen Zertifikate, was geschätzten Kosten von rund 8 Millionen Euro gegenübersteht. Doch – und das ist die gute Nachricht für die Linzer – damit dürfte es vorbei sein: Die Vergabe der Zertifikate soll sich, beginnend mit 2013, nicht mehr am bisherigen Ausstoß, sondern an den Besten der Branche orientieren, was die Position der Voestalpine – die in Linz die effizientesten Stahlwerke des Kontinents betreibt – wohl bevorzugen wird.Lesen Sie weiter: "Wissen nicht, womit wir rechnen können"

Das neue Vergabeprinzip, das ab der Handelsperiode 2013 gilt, ist einfach: Die Klassenbesten ihrer Branche müssen in Zukunft nicht – oder nur sehr geringfügig – für die von ihnen verursachte Verschmutzung bezahlen. Um die Unternehmen mit der Best Practice in den Branchen zu ermitteln, ließ die EU seit 2010 umfangreiche Datenerhebungen durchführen – und versprach noch im Laufe des vergangenen Jahres Zahlen zum Umfang der zugeteilten Rechte darzulegen.

Doch bislang – und daran entzündet sich jetzt die Kritik der Industrie – ist noch nichts passiert. „Wir sind schon mittendrin in der Handelsperiode, aber wir wissen überhaupt nicht, mit wie viel wir rechnen können“, sagt ein Manager. Eine kritische Situation angesichts der Tatsache, dass Investitionen kalkuliert werden müssen, die finanzielle Auswirkungen auf mehrere Jahre haben werden.

„Backloading“ abgeschmettert

Auch der administrative Aufwand, der mit der Vergabe der Zertifikate einhergeht, sorgt für Ärger: Audits, deren Bestätigung, die Meldung ans Ministerium und diverse Überprüfungen halten in mittelständischen Unternehmen, die am CO2-Zertifikate-Handel teilnehmen müssen, bis zu drei Mitarbeiter ein ganzes Jahr über beschäftigt. Wann die einzelnen Unternehmen der heimischen Industrie ihre exakte Zertifikatezuteilung erfahren, ist unklar.

Dabei konnte die Industrie zuletzt einen wirklichen Erfolg im Kampf gegen die Klimaschützer erringen. Um dem Markt für die Zertifikate auf die Sprünge zu helfen, unterbreiteten Umweltschützer den Vorschlag, 900.000 Zertifikate vorübergehend aus dem Markt zu nehmen und somit eine Verknappung herbeizuführen. Am 16. April schmetterte das EU-Parlament mit knapper Mehrheit den Vorschlag, genannt „backloading“, ab. Kann gut sein, dass Adam Smith damit gar keine Freude gehabt hätte.