Walter Boltz im Interview : „Dann bauen wir die Pipeline selbst“

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Boltz, in Deutschland schlägt die Energiewirtschaft wegen des weiter fallenden Strompreises Alarm. Viele Betreiber fossiler Kraftwerke fordern einen Kapazitätsmarkt – haben sie recht?

Boltz: In Österreich und Deutschland brauchen wir rein technisch keine Kapazitätsmärkte. Ein Beispiel: Österreich hat 10.000 Megawatt Spitzenlast, aber Kraftwerke ohne Ökostromanlagen im Umfang von 26.000 Megawatt. Wenn man jetzt fünf Gaskraftwerke schließt, dann haben wir immer noch 22.000 Megawatt – wir brauchen aber nur 10.000. Ähnliches gilt für Deutschland, nur mit einem etwas kleineren Abstand. Was wir eventuell brauchen, sind saisonale Lösungen, und an denen arbeiten wir gerade mit der APG. Da geht es darum, dass im Sommer die meisten thermischen Kraftwerke zugesperrt sind, andererseits brauchen wir im europäischen Netz Reservekraftwerke. Aber das ist ein saisonales Problem. Jene Länder, die einen richtigen Kapazitätsmarkt eingeführt haben, etwa Frankreich oder Italien, tun es überwiegend, weil sie ihren Energieindustrien etwas Geld zukommen lassen wollen. Unter dem Deckmäntelchen der Versorgungssicherheit.

Zum Thema Versorgungssicherheit: Vor wenigen Wochen ist EU-Energiekommissar Maros Sefcovic in Moskau mit Nachverhandlungen zu South Stream abgeblitzt. Nun soll „Turkish Stream“ kommen – wird jetzt die Türkei die neue Ukraine?

Boltz: Die Tatsache, dass Russland South Stream nicht bauen will, sehe ich als komplett unproblematisch. Technisch und wirtschaftlich ist es für die Russen überhaupt nicht sinnvoll, Gas für Europa über die Türkei zu liefern. Erstens ist das viel weiter, und zweitens geht man mit der Türkei ein politisches Risiko ein. Wir haben Lieferverträge bis 2027, und vor diesem Zeithorizont würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen, dass in der Türkei in den nächsten zwölf Jahren nicht unangenehme politische Veränderungen stattfinden. Aus der Sicht Russlands und auch Europas gibt es überhaupt keinen technischen Grund, über die Türkei zu gehen.

Es ist eine politische Entscheidung.

Boltz: Gazprom hat vier Röhren unter dem Schwarzen Meer geplant. Dann kann man zwei vor der bulgarischen Küste abzweigen und ist in der EU. Die Norweger liefern uns auch Gas on shore nach Nordeuropa, und dort verkaufen sie es. Nur haben die Norweger noch nie gesagt, sie wollen eine Pipeline bis Düsseldorf im Eigentum haben, exklusiv. Die Algerier oder Tunesier auch nicht. Bei allen Produzenten übernehmen wir das Gas an der Außengrenze der EU und kümmern uns um den Abtransport. Warum nicht bei Russland? Was zur Zeit fehlt, ist eine sachliche kommerzielle Diskussion. Und wenn das Gas nicht nach Baumgarten kommt, sondern von Europäern vom Balkan hierher transportiert werden muss, dann wird man über Preisreduktionen verhandeln. Und die Pipeline selbst bauen.

Das klingt aus europäischer Sicht fast wie ein Vorteil.

Boltz: Wir müssen schauen, dass sich die Atmosphäre normalisiert, und dann wird man die Bedingungen anpassen. So gesehen ist es gar nicht schlecht für Europa, weil wir wahrscheinlich nicht eine riesige Pipeline bauen würden, die dann nur russisches Gas transportiert, sondern vielleicht drei kleinere, die ganze Märkte miteinander verbinden und Transporte auch in die Gegenrichtung zulassen, ohne dass man mit den Russen streiten muss. Zum Beispiel könnten wir den ganzen Balkan wirklich mit Gas versorgen. Das wäre von Vorteil aus Gründen der Wirtschaft und des Umweltschutzes. Also ich sehe das nicht so negativ.

Vor diesem Hintergrund: Wie geht es mit dem Gaspreis weiter?

Boltz: Wir gehen davon aus, dass es im Frühjahr noch einmal einen ordentlichen Preisabschwung beim Gas geben wird, etwa um ein Viertel in den nächsten Monaten. Denn zum einen beträgt der Anteil der ölpreisindizierten Langfristverträge inzwischen nur mehr ein Drittel. Viele Verträge sind auf Gasbörsenpreise umgestellt. Zum anderen haben wir einen sehr gut versorgten Markt. Eigentlich haben wir zu viel Gas in Europa.

Das neue Energieeffizienzgesetz ist nach langem Ringen seit Jänner in Kraft – doch die Kritik daran geht weiter. Wie beurteilen Sie die Novelle?

Walter Boltz: Es ist wichtig, dass wir das Gesetz haben, weil es eine Bemühung ist, im Bereich der Energieeffizienz einen Fortschritt zu erzielen. Aber vieles darin ist nicht allzu gut gelungen. Das Gesetz ist der Versuch, Vorgaben zu machen, ohne dass man mit den Kompetenzen der Bundesländer in Konflikt kommt. Daher enthält es keine nennenswerten Vorgaben für die Länder, sondern nur für die Energielieferanten. Doch ich glaube, jetzt muss man es ein, zwei Jahre laufen lassen und dann schauen, was funktioniert und was nicht, und das dann nachbessern. Es war ja wahnsinnig schwierig, das Gesetz im Parlament durchzubringen. Wenn man dann konkret sieht, was nicht geht, ist es einfacher, andere Maßnahmen beschlussfähig zu bekommen, als wenn man abstrakt darüber diskutiert. Trotzdem gibt es bis heute viele Unklarheiten. Ich glaube deshalb nicht, dass das Effizienzgesetz in seiner heutigen Form der Weisheit letzter Schluss ist.

Auf massive Ablehnung stößt vor allem die Forderung an die Energielieferanten, bei ihren eigenen Kunden für Einsparungen zu sorgen – oder die Kunden über die Ausgleichsabgabe zur Kasse zu bitten.

Boltz: Uns erfüllt natürlich mit Sorge, dass der Kunde ein wenig unter die Räder kommen kann. Denn Energielieferanten könnten für den worst case gleich Geld von den Kunden einsammeln, obwohl gar nicht gesagt ist, dass sie die Ausgleichsab- gabe zahlen müssen. Oft könnten sie mit Maßnahmen, die wesentlich billiger sind, auch ihre Einsparungsziele erreichen. Das ist in der Berichterstattung bisher unter- gegangen: Kein Mensch sagt, dass ein Stromlieferant beim Strom sparen muss, oder eine Tankstelle beim Benzin. Das ist im Gesetz komplett voneinander getrennt. Stattdessen kann der Tankstellenbetreiber beim Strom sparen und der Stromlieferant im Bereich Raumwärme. In Ländern wie England, die schon länger vergleichbare Gesetze haben, erzielen Stromlieferanten sogar standardmäßig ihre Einsparungen eher im Gasbereich. Weil ich mehr Freude habe, wenn ich meinen Konkurrenten ein Geschäft wegnehme.

Wie soll das in der Praxis funktionieren?

Boltz: Es wird neue Dienstleister geben, über die ein Stromerzeuger so und so viele Gigawattstunden an Energieeinsparungen einkaufen kann. Der Dienstleister übernimmt dann die Umsetzung, beispielsweise bei Industriekunden in der Optimierung der Drucklufterzeugung. Und er liefert dem Stromerzeuger jedes Jahr den Nachweis, dass die Maßnahmen gesetzt wurden. Damit hat der Stromlie- ferant seine Verpflichtung erfüllt und kann seinen Kunden genauso viel oder mehr Strom verkaufen als vorher.

Das Ganze überwachen soll eine Monitoringstelle – doch bis heute ist offen, wer diesen Auftrag übernimmt. Bei der ersten Runde ging die E-Control leer aus. Wie ist der aktuelle Stand?

Boltz: Nach der ersten Ausschreibung hat das Wirtschaftsministerium den Zuschlag an die Österreichische Energieagentur erteilt. Danach hat ein anderer Bewerber gegen die Vergabe geklagt und beim Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen, weil laut Urteil einige Bestimmungen im Vergaberecht nicht eingehalten worden waren. Das heißt, im Moment ist das Ministerium dran, eine neue Vergabe durchzuführen. Veröffentlicht ist noch nichts (Stand Ende Februar, Anm. d. Red.). Wir erwarten mit Interesse die neue Ausschreibung.