Interview : Der Entwicklungsprozess eines Design-Krans
Herr Hambrock, Sie haben die Entwicklung des neuen Kranträgers begleitet. Wie ist die Idee dafür überhaupt entstanden?
Andreas Hambrock Wir überarbeiten kontinuierlich die „blauen“ Krankomponenten: zum Beispiel Hubwerk oder den Getriebemotor mit Fahreinheit. Wir fragten uns aber auch: Wo gibt es noch ganz neue Ansatzpunkte? Und so kamen wir auf den „gelben“ Kranträger und analysierten den Stahlbau nach neuesten Erkenntnissen und Technologien.
Wo setzten Sie an, um den Kranträger zu verbessern?
Hambrock Grundlage der Überlegungen waren die technischen Ansprüche aus den Handlingprozessen der Kunden wie verbesserte Torsionssteifheit, Stabilität und geringere Schwingungen und dadurch eine erhöhte Umschlagleistung. Daraus entwickelten wir verschiedene Konzepte, die unser Entwicklerteam einzeln analysierte und bewertete. Denn nicht jedes innovative Konzept erlangt Serienreife. Schließlich müssen wir etwa auch die Fertigungsmöglichkeiten – insbesondere bei den Zulieferern – bedenken. Wir fanden erst einen erfolgsversprechenden Ansatz, als wir einen herkömmlichen Kastenträgerkran einer Spannungsanalyse mit einer verfeinerten Finite-Elemente-Methode (FEM) unterzogen.
Was hat diese Spannungsanalyse ergeben?
Hambrock Es zeigte sich, dass die Bleche des Kastenträgers in gewissen Bereichen keiner oder nur einer äußerst geringen Spannung unterliegen. Dieses Wissen inspirierte uns, einen Blick in die Natur zu werfen und einem bionischen Vorbild zu folgen: Diese setzt zum Beispiel beim Knochenaufbau eine wabenähnliche Struktur ein, um eine möglichst hohe Stabilität sicher zu stellen. Hier wird „nur“ Material verwendet, wo es auch benötigt wird. So entstanden die ersten Überlegungen zum neuen V-Profil.
Wie beeinflusste dieser neue Aufbau die Spannungsverteilung im Kranträger?
Hambrock Eine Makrobetrachtung zeigte: Nun standen die Knotenpunkte unter erhöhter Spannung. Um die Kräfte besser zu verarbeiten, setzten wir zum einen auf speziell geformte und gekantete Bleche, die mit moderner Laser- oder Plasmaschneidtechnik in Form gebracht werden. Zum anderen verschmälerten wir die Streben an den Knotenpunkten und versteiften sie zugleich punktgenau. Das so entstandene verjüngte Membrangelenk nimmt die Zug- und Druckkräfte an der beanspruchten Stelle gezielt auf und lenkt sie in eine definierte Richtung. Dies wird zudem durch eine besondere Stecktechnik an den Gelenken unterstützt. Der Demag V-Profilkran vereint also neueste Fertigungs- und Verarbeitungstechnologien, die wir uns patentrechtlich gesichert haben.
Erfüllte dieses neue Design denn auch alle Anforderungen?
Hambrock Das musste es einmal beweisen. Dazu testeten wir das Design nicht nur in theoretischen Simulationen, sondern auch an einem realen Prototypen mit einer am Markt üblichen Kranträgerlänge. Zum Vergleich zogen wir einen Kastenträgerkran mit gleicher Spannweite und Tragfähigkeit hinzu. So konnten wir zeigen, dass der Demag V-Profilkran weniger wiegt als sein Kasten-Äquivalent. Daraus folgte eine durchschnittliche Gewichtseinsparung von 17 Prozent beim serienreifen Kran. Heute wissen wir, dass wir je nach Fall sogar bis zu 25 Prozent Gewicht einsparen können.
Aber das Gewicht war nicht das einzige, das Sie getestet haben.
Hambrock Den Vergleich beider Krankonstruktionen – Kastenträger und V-Profilkran – nutzten wir auch, um die Schwingungen des Krans zu testen. Wir bewerteten also bei einem Lastwechsel den Amplitudenausschlag der ausgelösten und angeregten Horizontalschwingung sowie die Zeit, bis der Kran sich vollständig beruhigte – das Abklingverhalten. Dabei zeigte sich: Das neue Design verringert die Schwingungsamplitude um bis zu 30 Prozent. Auch auf dem Pulser überzeugte das neue Kranträger-Design. Wir hatten aus theoretischen Ansätzen durchaus erwartet, die 250.000 Lastwechsel eines Kastenträgers überflügeln zu können. Aber selbst nach 500.000 realen Lastwechseln, also Hebe- und Senkvorgängen mit einer marktüblichen Last, zeigte der Demag
V-Profilkran noch keine Materialermüdung.
Waren die Tests damit abgeschlossen?
Hambrock Um diese Vorteile auch praxisnah zu beweisen, definierten wir eine Kundengruppe aus unterschiedlichen Branchen und statteten diese mit Prototypen aus. Wir testeten also gemeinsam mit Kunden unter Realbedingungen, bewerteten die Ergebnisse und verglichen sie mit identisch installierten Kastenträgerkranen. Die Ergebnisse stimmten hundertprozentig mit den Labortests überein. Aber damit waren wir noch nicht am Ziel: Zahlreiche Teams an verschiedenen Standorten steckten noch einmal ein Jahr lang Kompetenz, Leidenschaft und innovative Ideen in den Demag V-Profilkran, um ihn serienreif zu gestalten. Kurz vor Schluss gab es dann noch eine Überraschung.
Nämlich?
Hambrock Wir hatten den Demag V-Profilkran als Einträgerkran entwickelt. Ein Teammitglied kam auf die Idee, die Nutzbarkeit im gesamten Universalkran-Produktportfolio zu analysieren. Schnell stellte sich heraus, dass der Einsatz eines V-Profilträgers durchaus an anderen Krantypen wie Deckenkranen, Wandlaufkranen, Portalkranen und Zweiträgerkranen einen Mehrwert für den Kunden bietet. Die patentierte V-Bauweise lässt sich folglich ganz einfach auf Zweiträgerkrane übertragen. Deswegen können wir schon ab Mitte dieses Jahres einen entsprechenden Zweiträgerkran im Markt anbieten. Und wir sind guter Dinge, dass auch dieser ein voller Erfolg wird. Immerhin sind heute schon zahlreiche Demag V-Profilkrane in der Einträger-Variante im Einsatz. Zudem hat der Demag V-Profilkran bereits zwei Design Awards gewonnen.