Logistik : Diskussion um die Gigaliner nimmt eine neue Wende

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Die Wortmeldung war bemerkenswert – und sie wurde bemerkt. Er sei überhaupt nicht gegen das „System Lang-Lkw“, sagte Ralf Fücks vor kurzem im Rahmen einer Podiumsdiskussion.

Und: Der anhaltende Widerstand sei größtenteils auf Emotionen wie Furcht zurückzuführen. Starke Worte für einen prominenten deutschen Grünen-Politiker, der unter anderem als Vorstandssprecher die Grünennahe Heinrich Böll Stiftung vertritt.

Wenige Wochen nach der Diskussion liegt nun der Zwischenbericht zum seit zwei Jahren laufenden deutschen Feldversuch mit Lang-Lkw vor. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Argumente gegen die „Gigaliner“ werden weitgehend pulverisiert. Strikt neutral, aber äußerst klar.

Der Streit um die Lang-Lkw beschäftigt die Branche seit Jahren. Die Forderung der Transportwirtschaft, Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen mit Überlänge zuzulassen, mündete 2012 in den Feldversuch in mehreren deutschen Bundesländern – dass die Gigaliner in den Niederlanden und in skandinavischen Ländern seit vielen Jahren problemlos unterwegs sind, reichte nicht als „Feldversuch“.

Ein Hauptargument der Skeptiker wurde, zumindest im Laufe der Zeit, entkräftet: Wie auch in Österreich verzichtete die deutsche Transportwirtschaft auf die Forderung nach mehr Tonnage – es geht also ausschließlich um Volumserhöhung. Mit der Durchführung des Feldversuchs wurde die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) beauftragt.

Als Forschungseinrichtung des Verkehrsministeriums strikter Neutralität verpflichtet, enthält sich die bast im nun vorliegenden Zwischenbericht auch jeglicher Empfehlungen. Was nichts daran ändert, dass der Bericht – in wissenschaftlich nüchterner Sprache – einen Einwand

nach dem anderen zerpflückt.

Tatsache: Der Feldversuch läuft seit zwei Jahren unauffällig.

Fünf leichte Unfälle mit Lang-Lkw waren in den beiden Jahren zu verzeichnen. Das Maximum an Folgen waren Blechschäden. In keinem Fall gab es einen Hinweis darauf, dass der Unfall im Zusammenhang mit Lang-Lkw-spezifischen Eigenschaften stand.

Angesichts der relativ geringen Zahl der eingesetzten Fahrzeuge ist das zwar statistisch nicht sehr aussagekräftig, doch die bast resümiert: „Bislang haben sich auf Basis des Unfallgeschehens keine eindeutigen Hinweise auf mögliche negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit durch den Einsatz von Lang-Lkw ergeben.“

Tatsache: Der Einsatz führt zu deutlichen Kostenvorteilen und Spritersparnis. Die Vorteile ergeben sich durch das vergrößerte Ladevolumen. Mit 15 Prozent beziffert die Studie den Kostenvorteil des Lang-Lkw gegenüber herkömmlichen Lkw:

„Da der Lang-Lkw aufgrund der administrativen Regelungen (...) eine geringere relative Nutzlast gegenüber herkömmlichen Lkw aufweist, aber in der Beschaffung und im Transporteinsatz bezogen auf die Lkw-Kilometer und Tonnenkilometer höhere Kosten mit sich bringt, ist ein betriebswirtschaftlich effizienter Einsatz nicht durch das absolute Transportgewicht, sondern nur durch eine erhöhte Ladeeinheits- bzw. Stellplatzkapazität gegeben, welche nur mit Volumengütern erreicht werden kann“, so der Bericht.

Das schon vor dem Anlaufen des Versuchs argumentierte 2-zu-3-Verhältnis bestätigte sich: Eine Lang-Lkw-Fahrt ersetzte im Schnitt sogar 1,56 bisherige Fahrten. Punkten können die Großen auch beim Kraftstoffverbrauch. Das einzelne Fahrzeug verbraucht im Schnitt um zwölf Prozent mehr Sprit – angesichts der 2-zu-3-Substitution ergibt dies unter dem Strich jedoch eine Kraftstoffeinsparung von rund 25 Prozent gegenüber herkömmlichen Lkw.

Tatsache: Ernsthafte technische Probleme traten im Versuchszeitraum nicht auf. Die eingehenden technischen Untersuchungen der bast zeitigten durch die Bank positive Ergebnisse. So lag etwa der Bremsweg der Lang-Lkw (dank größerer Anzahl gebremster Achsen) deutlich unter jenem herkömmlicher Sattelfahrzeuge.

Die gefürchtete erhöhte Sogwirkung, die überholte einspurige Fahrzeuge gefährden könnte, trat nicht ein: Die Untersuchungen ergaben „... identische Druck- und Sogspitzen an Fahrzeugfront und -heck von Lang-Lkw und der Referenzfahrzeugkombination.

Auch der Verlauf der Drücke entlang der Fahrzeuglängen ist vergleichbar.“ Einzige

Einschränkung: Dies gilt nur, wenn die vorgesehenen Überholabstände auch eingehalten werden. Die Lang-Lkw zeigten sich im Feldversuch auch bei Leerfahrten windstabil, und bewährt haben sich auch die unterschiedlichen Systeme von Heckkameras:

„Personen und größere Objekte im Nahbereich hinter dem Fahrzeug sind bei allen Varianten

erkennbar“, heißt es im Bericht.

Tatsache: Nein, tun sie nicht. Schwerere Beladung, hier waren sich alle einig, würde zu höheren Achslasten führen, worauf wiederum die bestehenden Straßen nicht unbedingt vorbereitet wären.

Da sich im Feldversuch die gleiche maximale Tonnage auf gleich viele oder sogar mehr Achsen verteilt, bringt der Bericht das erwartbare Ergebnis: 92 Prozent der erfassten Achslasten lagen im Bereich unter sieben Tonnen und damit deutlich unter dem gesetzlichen Limit von zehn bzw. elf Tonnen. Für die Straßenoberbauten bedeutet dies laut bast, „dass unter den Randbedingungen des Feldversuchs keine nennenswerten Mehr- oder Minderbeanspruchungen festzustellen sind“.

Tatsache: Probleme zeigten sich nur bei Nothaltebuchten und Rastanlagen. Vor allem an Knotenpunkten, bei Autobahnauffahrten, in Parkbuchten und ähnlichen Straßenteilen abseits der schnurgeraden Autobahn liegt die Befürchtung nahe, dass die Großen zu einem Problem werden könnten. Auch dieses Kapitel des Zwischenberichts ist ausgesprochen ausführlich geraten und schließt mit allgemeiner Entwarnung.

An den planfreien Knotenpunkten auf Autobahnen seien, sofern der Anteil der Lang-Lkw nicht wider Erwarten überhandnimmt, „keine negativen Auswirkungen auf den Verkehrsablauf“ zu erwarten. An Autobahnauffahrten konnten „keine negativen Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit im Bereich von einstreifigen Einfahrten (...) durch denEinsatz von Lang-Lkw identifiziert werden“.

An Rampen planfreier Knotenpunkte und Anschlussstellen: keine Probleme. Ein- und Ausfädelungsstreifen: keine Probleme. Nothaltebuchten: Hier gab es bei einigen getesteten Typen tatsächlich den befürchteten Effekt: Sie passten nicht hinein – für sie müssten die Buchten also verlängert werden. Dasselbe gilt für die Schrägparkbuchten bei Rastanlagen. Auch bei den von den Skeptikern immer wieder ins Treffen geführten Kreisverkehren zeigte sich bei einigen Lang-Lkw-Typen tatsächlich ein Überfahren von Markierungen oder Banketten.

Andere Typen zeigten hier allerdings sogar bessere Eigenschaften als die Referenzfahrzeuge. Die bast empfiehlt für kleinere Kreisverkehre eine Vergrößerung des Radius. Entwarnung gibt der Zwischenbericht wiederum beim Thema Autobahnbaustellen. Im Bereich von Arbeitsstellen längerer Dauer konnten die begleiteten Lang-Lkw „alle Überleitungen und Rückleitungen sowie Verschwenkungen problemlos befahren“.

Tatsache: Das Sicherheitsniveau scheint nicht zu leiden. Die Forschungsleiter der bast ließen unterschiedliche Fahrzeugkombinationen unter verschiedensten Bedingungen gegen Stahl- und Betonplanken am Fahrbahnrand krachen.

Das Fazit dieses sehr ausführlichen Abschnitts des Zwischenberichts: „Auf Basis der vorliegenden Erkenntnisse kann zunächst einmal keine Beeinflussung des aktuell vorhandenen Verkehrssicherheitsniveaus aus einem Einsatz von Lang-Lkw hinsichtlich möglicher Anprallszenarien an Schutzeinrichtungen abgeleitet werden.“

Tatsache: Die Gefahr ist gleich groß wie bei allen anderen Lkw-Überholvorgängen. Die Untersuchung zeigte, dass es ohnehin nur zu sehr wenigen potenziell kritischen Überholvorgängen kam. Bei diesen rund 200 beobachteten Situationen sieht das Fazit der bast allerdings eindeutig aus: „Trotzdem ist zu konstatieren, dass bislang keine Indizien für größere Risiken bei Überholungen von Lang-Lkw bestehen, als sie ohnehin bei Überholungen von allen Fahrzeugen und Fahrzeugkombinationen unter Nutzung des Gegenverkehrsfahrstreifens in Kauf zu nehmen sind.“

Tatsache: Die Fahrer selbst sehen das anders. Die Lenker wurden im Zuge der Studie sowohl beobachtet als auch eingehend befragt. Zum Teil berichteten sie von Einschränkungen (etwas schwierigeres Handling vor allem auf verengten Fahrstreifen, leicht erhöhter Stress beim Überholtwerden, schwierigeres Parken auf herkömmlich dimensionierten Lkw-Parkplätzen).

Dem gegenüber empfanden sie auch Vorteile, zum Teil sogar beim Durchfahren von Kreisverkehren. Aus psychologischer Sicht, resümiert der Zwischenbericht, lasse sich in Summe keine Beeinträchtigung der Sicherheit beim Fahren eines Lang-Lkw erkennen.

„Es ist eindeutig: Alle an diesem Fahrversuch teilnehmenden Fahrer befürworten die zeitlich unbegrenzte Zulassung des Lang-Lkw.“

Einwand 9: Lang-Lkw gefährden die Schiene

Tatsache: Verlagerung von Fracht auf die Straße findet nicht statt. Abgesehen von der Frage, ob die gesetzliche Beschränkung einer Modalität wirklich durch die Förderung einer anderen argumentiert werden soll: Aus dem Zwischenbericht ergibt sich keinerlei Tendenz zur viel beschworenen Verlagerung von Cargo auf die Straße. Das ist auch logisch, da die Vergrößerung des Volumens nicht an eine Tonnagenerhöhung gekoppelt ist – und sich die Lang-Lkw somit als Substitut für die „klassischen“ Bahngüter ohnehin nicht gerade anbieten.

Oder, wie es im Bericht heißt: „Die Vorteile und Stärken des Schienen- und Binnenschiffsgüterverkehrs liegen insbesondere bei der Belieferung mit Massengütern über längere Strecken und in den hierbei erzielten betriebswirtschaftlichen Kostenvorteilen.“ Im Zuge der bisher während des Feldversuchs durchgeführten Transporte konnten die Forscher jedenfalls keine Verlagerung erkennen – auf die Lang-Lkw kamen ausschließlich Waren, die zuvor schon über die Straßen gerollt waren.

„Hinnehmbare, beherrschbare Risiken.“ So nüchtern der Bericht verfasst ist, so deutlich ist doch das Fazit: Gravierende Probleme, so die Autoren, hätten sich im Feldversuch nicht gezeigt. Gemessen an der Vielzahl betrachteter Fragestellungen sei die Anzahl der identifizierten Risiken gering. Und selbst wenn man von einer deutlich steigenden Zahl an Lang-Lkw ausgehe, seien die Risiken „als gegebenenfalls hinnehmbar oder zumindest beherrschbar einzustufen“. Wenig Grund also für Emotionen wie Furcht.