Logistik : Frisch auf die letzte Meile

Die spontane Reaktion des Professors amüsiert Post-Vorstand Peter Umundum noch heute: „Einen Forschungsauftrag mit der Vorgabe, möglichst wenig zu verändern, habe ich wirklich noch nie bekommen.“ Efrem Lengauer, Spezialist für Distributionslogistik und Materialfluss am Logistikum in Steyr, sollte einen Feldversuch für die flächendeckende und wirtschaftlich vertretbare Hauszustellung von Lebensmitteln konzipieren – unter ausschließlicher Nutzung bestehender Infrastruktur und unabhängig von eventuellem Mengenwachstum.

„Ein Feldversuch, so haben wir es damals auch genannt“, erzählt Lengauer, „doch wir sahen bald, dass wir stabile Prozesse geschaffen hatten.“ Ziemlich stabil sogar: Der ursprünglich zeitlich limitierte Versuch ist seit diesem Winter ein fixes Angebot im heimischen Lebensmittel-Einzelhandel. Dass aus einem Forschungsprojekt ein tragfähiges Geschäftsmodell entstand, wird wohl auch den Fördergeber FFG gefreut haben.

Nicht nur Ballungsraum

Zeitnahe Lebensmittel-Hauszustellung auch im ländlichen Raum: Damit das ursprünglich „Food4all@home“ genannte Projekt tragfähig werden konnte, bedurfte es der Zusammenarbeit von vier Partnern. Die Pfeiffer Handelsgruppe, die Österreichische Post AG, das Logistikum in Steyr und RISC Software arbeiteten rund 18 Monate an den Prozessen, die in ein Zustellservice für über 600.000 Haushalte in Oberösterreich mündeten.

Vor rund drei Jahren, erzählt Geschäftsführer Markus Böhm, fiel in der Pfeiffer Handelsgruppe die strategische Entscheidung für Hauszustellung im Lebensmittel-Einzelhandel. Weder E-Commerce noch Hauszustellung waren prinzipiell Neuland – doch abseits der Städte galt es durchaus neue Wege zu finden. „Im Ballungsraum kann das jeder“, sagt Markus Böhm, „es ist keine besondere Leistung, hier einen Dienstleister zu finden und ihm Kraft seiner Marktmacht Bedingungen zu diktieren.“ Doch die Zielgruppe des Projekts war von Beginn an eine andere: Es geht um Konsumenten, die im weitesten Sinne Probleme mit der Mobilität haben. Also auch um jene Menschen, die weite Wege zum nächsten Nahversorger zurückzulegen haben und vielleicht über kein Auto verfügen. Um Menschen, für die das Tragen der Einkäufe in den vierten Stock ein Problem darstellt. Und nicht zuletzt um jene, die ganz einfach zu wenig Zeit zum Einkaufen haben. „Der empirische Test war unbedingt notwendig, um zu klären, ob das auch flächendeckend wirtschaftlich darstellbar ist.“

Passive Kühlung

Eines stand von Beginn an für alle Beteiligten fest: Mit der üblichen Lieferung durch Kühlfahrzeuge waren die Bedingungen nicht zu erfüllen. „Die Grundidee war, passiv gekühlte Boxen einzusetzen“, sagt Efrem Lengauer, „also Transportbehälter, die in die etablierten Standardprozesse der Paketzustellung geschleust werden können.“ Physical Internet also? Ja, meint Lengauer, „natürlich kann man das Projekt auch vor diesem Hintergrund sehen, wenn man dem Behälter noch eine gewisse Intelligenz einpflanzt.“

Dass es realisiert wurde, verdankt sich auch zwei Zufällen: Einerseits führte die Post zu dieser Zeit das Angebot der Same-Day-Delivery (E+0) ein – innerhalb zweier rund zweieinhalb Stunden großer Zeitfenster am Abend ist bei rechtzeitiger Bestellung (12:00 Uhr) die Lieferung noch am gleichen Tag möglich. Das Angebot, erzählt Post-Vorstand Peter Umundum, verdankt sich nur indirekt dem konkreten Projekt.

„Das Thema der Lebensmittelzustellung hat uns schon längere Zeit beschäftigt.“ Ein echter Zufallsfund war die Transportbox. Das Projektteam hatte sich schon mehrere Alternativen angesehen, ohne wirklich begeistert zu sein. Just in dieser Zeit präsentierte DHL in Deutschland eine neue Transportbox auf einer Messe, „und wir wussten sofort, dass sie perfekt war“, sagt Efrem Lengauer. Die flexibel unterteilbaren Boxen sind mit Kühlakkus versehen, die den Inhalt bis zu 48 Stunden lang auf +3° bis +6° kühlen. Die Lieferung von Tiefkühlware ist derzeit nicht möglich, soll laut Peter Umundum aber folgen. Nicht zuletzt verfügen die Boxen über alle entsprechenden Lebensmittel- und Sicherheitszertifizierungen.

„Wie Einkaufen“

Und so sieht das Ergebnis des Forschungsprojektes aus: Rund 600.000 Haushalte in Oberösterreich können über die Homepage des Unimarkts Online-Bestellungen abgeben. In Linz gibt es die Same-Day-Hauszustellung bis 21.00 Uhr, sonst die Zustellung am nächsten Tag oder die Möglichkeit der Abholung der Waren in Abholstationen. Die Preise sind gestaffelt, ab einem Sendungswert von 40 Euro ist die Zustellung kostenlos.

Die Kommissionierung geschieht derzeit in einer Unimarkt-Filiale in Linz, die baulich nicht adaptiert wurde. „Es ist wie normales Einkaufen“, sagt Efrem Lengauer, „nur dass die Mitarbeiter keine Einkaufszettel in der Hand haben, sondern einen Scanner.“ Im Lagerbereich der Filiale wird verpackt und finden die vollen und die leeren Boxen Platz.

Dark Store

Ein neuer Standort in Wels vereint die Vorteile der Filialkommissionierung – also vor allem, dass auch Artikel lagern, die selten nachgefragt werden – mit der höheren Effizienz eines reinen Kommissionierlagers („Dark Store“). „Die hohe Effizienz“, erklärt Efrem Lengauer, „resultiert aus dem Umstand, dass dort die Ware so angeordnet werden kann, wie es optimal für die Kommissionierung ist, und man keine Rücksicht auf die optischen Rahmenbedingungen einer normalen Filiale nehmen muss.“ Im an die Filiale mit Kundenkontakt angeschlossenen Kommissionierbereich lagern die Schnelldreher, während die weniger oft nachgefragten Artikel aus der Filiale geholt werden. Für die Post sind die befüllten Lebensmittelboxen „normale“ Pakete, die den Standardprozessen unterworfen werden können. Nach der Kommissionierung werden die Boxen nachmittags in das Verteilzentrum in Allhaming geliefert, sortiert und mit den normalen Kursen der Post zugestellt. Aus Oberösterreich stammt auch ein weiterer Beitrag zum Projekt: RISC Software entwickelte das Last-Mile-Simulationsframework, das Informationen zur Echtzeit-Verkehrslage (vor allem zur abendlichen Rushhour) mit historischen Verkehrsdaten kombiniert und damit die Planung der Auslieferungstouren auf das angesichts der versprochenen minutengenauen Auslieferung in einem engen Zeitfenster notwendige Level hebt.

„Ökologisch positiv“

Dass ein weiteres Angebot im E-Commerce auch zu einer weiteren Belastung des „Systems Logistik“ führen könnte, erwarten die Beteiligten nicht. Peter Umundum verweist auf die Dimension, in der sich der heimische Online-Lebensmitteleinzelhandel derzeit bewegt: Vom ohnehin nicht berauschenden Anteil des Online- am gesamten Konsumgüterhandel nimmt der Lebensmittelbereich einen nahezu verschwindenden Part ein. „Solche Prozesse gehen nicht von heute auf morgen“, meint Umundum, „und wir können auch nicht davon ausgehen, dass wir hier eine Revolution lostreten.“ Unter dem Strich, hofft er, werde sich das Angebot sogar tendenziell günstig auswirken: „Hier geschieht eine Bündelung auf der letzten Meile. Ich erwarte, dass sich Einsparungen bei Kühltransporten und nicht zuletzt beim Individualverkehr ökologisch positiv auswirken.“ Die konkreten Auswirkungen, assistiert Efrem Lengauer, sind derzeit Gegenstand einer Studie im Auftrag des bmvit.“

Ganz so unspektakulär scheint das Modell jedoch nicht zu sein. Im internationalen Vergleich, sagt Peter Umundum, sei die Kombination von flächendeckendem Angebot und Same-Day-Versprechen selten. „Diese Form des Einfließens der Lieferungen in das bereits bestehende Netz kenne ich sonst eigentlich nur aus der Schweiz, mit der wir in diesem Zusammenhang auch immer wieder engen Kontakt hielten. Überall sonst geschieht die Zustellung fast ausschließlich über Botendienste.“

Wie es nun weitergeht? Pfeiffer-Geschäftsführer Markus Böhm rechnet mit einem Break-even-Horizont von drei bis fünf Jahren. Und mittelfristig mit der Marktführerschaft.