Fertigung der Zukunft : "Ineffizient nach Altväter Sitte"

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Herr Professor, auf der Hannover Messe schlug heuer die Stunde der Roboter. Handlanger, die Komponenten erfühlen, dazu mobile Produktionsassistenten, die von einer Montagelinie zur anderen rollen. Wird gerade Industriegeschichte geschrieben?

Engelbert Westkämper Das sind ein paar Hypes, die sicherlich ihre Anwendungsbereiche in der Praxis finden. Aber im Großen und Ganzen werden sie sicher nicht die Fertigung als Ganzes revolutionieren.

Der kooperierende Roboter ist also gar nicht der große Effizienzturbo für die Produktion?

Westkämper Man soll sich da nicht täuschen. Natürlich sind solche Maschinen ein wichtiger Beitrag, die Produktion effizienter zu gestalten. Trotzdem haben sie nur begrenzte Anwendungsbreite – ganz im Gegenteil zu einem professionell auf die Beine gestellten Produktionssystem. Vorausgesetzt eben, es kann mehr, als nur Dienst nach Vorschrift zu fahren.

Aber bringt ein innovativer Roboter nicht eben auch Wandlungsfähigkeit?

Westkämper Natürlich. Aber trotzdem fehlt meist der Systemgedanke dahinter, das Denken in ganzen Produktionssystemen. An einer Ecke setzen Sie den selbstlernenden Roboter ein, aber der große Rest der Arbeit in der Fabrik läuft nach Altväter Sitte? Das kann und darf nicht die Zukunft sein!

Es geht um Flexibilisierung. Bringt die Vollvernetzung von Maschinen diese auch bei stark automatisierten Prozessen, wie Hersteller nicht müde werden zu versprechen?

Westkämper Bei der Automatisierung sind die Voraussetzungen für Flexibilität seit vielen Jahren gegeben – denken Sie an eine Endmontage einer Automobilfertigung. Industrie 4.0 bringt hier im Gegensatz zu Bereichen wie der Konstruktion, der Administration oder der Arbeitsvorbereitung praktisch keinerlei Verbesserungen! Vielleicht gelingt es, Prozesse schneller zu adaptieren oder mehr Informationen herauszuholen. Aber für die direkt prozessbezogene Arbeit wird es nur wenige Impulse geben.

Die Endmontage zählt zu den mannstarken Bereichen. Wie sieht sie in Zukunft aus?

Westkämper Eine Fülle von nichtkonventionellen Technologien, etwa für die Bearbeitung neuer Werkstoffe oder mechatronischer Bauelemente, ist am Vormarsch und zielt geradewegs auf die Endmontage ab. Kurz: Sie wird aufgewertet. Customizing, Produktvielfalt und -varianz nehmen zu, die Aufgaben der Endmontagen werden viel vielfältiger. Mehr Flexibilität kann natürlich auch nicht schaden. Aber die kommt dann stärker über die Mitarbeiter und die Arbeitsstrukturen.

Das Bild einer mannlosen Endmontage ist grundfalsch?

Westkämper Absolut. Davon zu reden, dass mit der stärkeren Produktvarianz eine Taylorisierung oder Akkordarbeit Einzug hält, ist Unsinn. Im Gegenteil, die Maschine kann den Menschen dort nicht ersetzen, wo schnelle Veränderungen gesucht werden.

Wenn die Automatisierungstechnik hier an Grenzen stößt: Worauf muss sich der Fabrikarbeiter künftig einstellen?

Westkämper Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass standardisierte Abläufe nicht mehr der Normalzustand sind, sondern die Veränderung. Die Spielräume werden immer enger. Nicht nur gilt es immer stärker Grenzkosten bei der Produktion zusätzlicher Einheiten zu berücksichtigen, sondern auch Grenzbereiche bei Qualität und Präzision sicher zu beherrschen. Die Fertigungszeiten und Nutzungsdauer von Maschinen dagegen werden in der Fertigung der Zukunft weniger entscheidend sein.

Experten sind sich einig, was die Industrie die kommenden Jahre in Angriff nehmen müsste: Es braucht neue Geschäftsmodelle, mehr Mut für neue Märkte – und die von Ihnen angesprochene Fähigkeit, ihre Fabriken schnell zu adaptieren. Was würden Sie sich vom Gesetzgeber wünschen?

Westkämper Was die Politik jetzt dringend zu tun hat: Die Sicherstellung einer flächendeckenden Infrastruktur für ein Hochgeschwindigkeitsinternet. Und das heißt, wirklich jeden Haushalt und jeden Betrieb anzubinden. Ich orte aufseiten der Kommunikationsdienstleister in Sachen Netzausbau nicht immens große Bereitschaft, dies aus freien Stücken zu tun.

Die Bereitschaft, neuen Technologien Tür und Tor zu öffnen, ist freilich auch in der Industrie nicht überall gleich stark ausgeprägt – siehe Bauindustrie, die sich bei der Fabrikautomation jahrelang ziemlich schwer tat.

Westkämper In der Tat, es gibt Nachzügler. Aber auch ziemlich erfreuliche Beispiele, wie etwa die Holzindustrie. Die ist gegenüber Produktionsoptimierung und kundenspezifischen Produkten sehr aufgeschlossen. Wie übrigens auch die Möbelindustrie: Über das Internet konfigurierbare Produkte sind ein wesentlicher Eckpunkt von Industrie 4.0.

Ein anderer, die Massenproduktionen in Europa halten zu können. Wird das Ihrer Meinung nach gelingen?

Westkämper Ich bin davon überzeugt, dass es gelingen kann. Wir haben die Riesenchance, mit den Mitteln der Automatisierung und Digitalisierung sogar Produktionen aus Fernost zurückzuholen. Aber mit veralteten Konzepten wird es nicht gelingen. Europa investiert viel zu wenig.

Haben wir im Vergleich zu den Amerikanern nicht hochmoderne Maschinentechnik im Einsatz?

Westkämper Die Wahrheit ist: Europas Unternehmen stehen seit den Krisenjahren 2008, 2009 bei Investitionen massiv auf der Bremse und lassen ihre Maschinen- und Anlagenparks sträflich altern. Wer glaubt, dass er mit zehn oder fünfzehn Jahre alten Maschinen künftig am Weltmarkt bestehen kann, irrt sich gewaltig!

Mr. Wandelbar

Engelbert Westkämper, 69, ist Professor für Produktionstechnik und Fabrikbetrieb. Er leitete bis 2011 das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung in Stuttgart und gilt als Erfinder der wandelbaren Fabrik.