Interview : Karl Osti: „Industrie 4.0 ist ein Fundamentaler Umbruch“
INDUSTRIEMAGAZIN: Tools zur digitalen Produktentwicklung sind bei Autobauern oder Maschinenbauern am Durchmarsch. Prototypen werden längst am digitalen Reißbrett konstruiert und simuliert. Warum legt Autodesk da so große Hoffnungen in das Technologieprojekt Industrie 4.0 – wie man optimal plant, ist doch Ihr täglich Brot?
Karl Osti: Das Konzept der Industrie 4.0 ist ein fundamentaler Umbruch. Die Produktionsanlagen lassen sich schnell und teilautomatisch umrüsten. So können kleinere Ausstoßmengen und Lastspitzen gebündelt und mit noch akzeptablen Margen realisiert werden. Das Internet der Dinge wird helfen, die möglichen Aufträge zu identifizieren und proaktiv die Kapazitäten zu planen. Wer sich auf alten Kernkompetenzen ausruht, läuft Gefahr, durch den Plattformwechsel international auf der Strecke zu bleiben – auch Branchengrößen sind hiervor nicht geschützt, wie Beispiele der Vergangenheit aus der Fotografie oder dem Einzelhandel zeigen. Dieses Schicksal wollen wir nicht teilen, sondern stattdessen aktiv den Wandel mitgestalten.
Wie genau rüstet sich Autodesk dafür?
Osti: Als Software-Anbieter liefern wir zusammen mit unseren Partnern Lösungen und Entwicklungswerkzeuge, welche die Innovationen für eine vernetzte Produktion erst ermöglichen. Eins ist klar: Die verschiedenen Disziplinen einer Anlage müssen mehr miteinander verzahnt werden, um Produktionskapazitäten flexibel nutzbar machen zu können. Hier hilft uns und unseren Kunden die Offenheit unserer Lösungen. Es geht aber nicht nur um die Anlagenplanung und -Konstruktion selbst, sondern auch um den Betrieb und um die parallele Wertschöpfungskette rund um Service und Instandhaltung. Hinsichtlich der Aufstellung und den Betrieb der Anlagen finden wir neue Systeme und Kooperationspartner, können aber auch andere Stärken von uns nutzen.
Wie zum Beispiel?
Osti: Aus unserer Architektursparte lässt sich etwa das Building Information Modeling (BIM) – die Gebäudeplanung an einem zentralen 3D-Modell – auch bei der Fabrikplanung einsetzen. Es fasziniert uns immer wieder, uns für unsere Kunden mit einem neuen Umfeld vertraut zu machen und wir schrecken davor nicht zurück. Die vernetzten Systeme und die damit verbundenen Betriebsdaten sind sehr spannend, gerade auch für Optimierungen aller Art. IT-Technologien wie Big Data und die Cloud werden unseren Kunden helfen, viele Datenpunkte zu analysieren und produktionssteuernd und betriebsoptimierend einzugreifen – auch von unterwegs mit ihren Smartphones und Tablets.
Intelligente Fabrik, smarte Produktion, vierte industrielle Revolution: Ver heißungen haben Hochsaison. Zugleich können Ingenieure in der virtuellen Umgebung schon heute mehr Designent würfe erstellen als real jemals möglich wäre. Wo unterscheidet sich Industrie 4.0 vom normalen technologischen Fortschritt, der jeder Industriekunde von Ihnen einfordert?
Osti: Wir sprechen in diesem Zusammenhang gerne von drei Epochen, die Konstruktionslösungen mitgemacht haben bzw. mitmachen. In der ersten Ära wurde die Software dazu genutzt, Ideen der Konstrukteure und Produkte in Plänen zu dokumentieren. Bei der zweiten Epoche sprechen wir vom sogenannten Information Modeling: Softwarehersteller machten ihre Lösungen immer intelligenter, sodass die Konstrukteure Antworten darauf finden, wie die Produkte funktionieren und arbeiten, und auf dieser Basis bessere Entscheidungen treffen können. Die dritte Epoche beginnt gerade – wir bezeichnen sie als Kontext-Ära. Es geht nicht nur um das Modell an sich, sondern auch um alle Dinge darin und die Umgebung, mit der es interagiert. Wir müssen mit unseren Lösungen jetzt also einen viel größeren Kontext betrachten und Antworten über Systeme und deren Umgebung liefern. Hier liegt der wahre Unterschied im Vergleich zum normalen technologischen Fortschritt unserer Software.
Was wird Konstruktionssoftware im Jahr 2020 grundlegend Neues können? Alle Wertschöpfungsstufen der Produktentstehung etwa werden doch schon heute zur Gänze digital abgebildet.
Osti: Es gilt vor allem, auf die Bedürfnisse der neuen Generation von Konstrukteuren eingehen zu können. Die sogenannten Digital Natives drängen in die Arbeitswelt. Für sie sind die Cloud und soziale Netzwerke längst feste Bestandteile ihres Lebens. Über kurz oder lang wird das auch die Arbeitsweise in den Konstruktionsabteilungen beeinflussen.
Und der 3D-Druck?
Osti: Er wird unser Leben verändern. Die Möglichkeiten von Konstruktionssoftware waren limitiert durch die verfügbaren Produktionstechniken. Dieses Limit entfällt mit dem 3D-Druck und hieraus ergeben sich komplett neue Ansätze. Statt Stahlträger könnte man so die Streben eines Flughafendaches drucken, damit erheblich Gewicht einsparen und wäre gleichzeitig viel freier in der Formwahl. Oder man könnte neue Materialien verwenden. Mit hochfestem Beton und Kohlefaser ließen sich Brücken bauen, welche nie rosten und damit auch nicht immer wieder teuer saniert werden müssten.
Der produzierende Mittelstand bleibt sich vielfach noch treu: Konstruiert wird wie seit ehedem: Mittels physischer Prototypen und mit minimalem Softwareeinsatz. Wie sind solche Kunden zu überzeugen?
Osti: Am besten durch harte Tatsachen und Zahlen. Fakt ist: Der Einsatz von Digital-Prototyping-Software lohnt sich. Es müssen nachweislich weniger physische Prototypen erstellt werden, was den Unternehmen Zeit und Geld spart. Jede Korrekturschleife ist eine zu viel. Wenn ich aber schon vor dem Bau des ersten Prototypen das Zusammenspiel der einzelnen Bauteile oder die mechanischen Kräfte, die an der Konstruktion wirken, simulieren kann, lassen sich viele Planungsfehler im Vorfeld erkennen und beheben. Man geht davon aus, dass 70 bis 85 Prozent der Endproduktkosten auf Entscheidungen basieren, die in frühen Produktentwicklungsphasen getroffen werden.
Autodesk hat mehrere Millionen lizenzierte Anwender und hunderttausende Kunden vorzuweisen. Sind da bis 2020 noch große Sprünge möglich?
Osti: Ich sehe noch sehr viel Wachstumspotenzial. Immerhin haben wir ein riesiges Lösungsportfolio, in das wir aktiv investieren. Außerdem wollen wir den Zugang zu unseren Lösungen demokratisieren, weshalb wir unser Publikum abseits unserer Kern-Zielgruppe in der Maschinen- und Anlagenbraubranche erweitern. Dazu gehören beispielsweise Start-ups im Clean-Tech-Bereich oder gemeinnützige Organisationen. Aber auch kleine und mittelständische Unternehmen, für die unsere Software bisher zu teuer war, sprechen wir mit unserem neuen Lizenzmodell auf Mietbasis an.