Produktpiraterie : Die Fälscher

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Deutsche Unternehmen wie SKF und Schaeffler setzen wirksame Maßnahmen gegen die steigende Flut gefälschter Produkte aus China ein. Wie gehen sie mit gezielten Brand Protection-Strategien und enger Zusammenarbeit mit Behörden und Rechtsexperten erfolgreich gegen Produktpiraterie vor?

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Schon länger verfolgte das Brand-Protection-Team von SKF eine heiße Spur. Immer wieder erhält der Wälzlagerhersteller Hinweise, dass Fälscher in chinesischen Geheimfabriken SKF-Produkte nachbauen. Immer wieder macht man in Schulungen den Zoll auf das Problem aufmerksam. Wenn wieder etwas aus Asien hereinkommt, sollen die Beamten gewappnet sein. Als an einem heißen Julitag dieses Jahres die Falle endlich zuschnappt, führt dennoch Kommissar Zufall Regie. Die Zollbeamten, die im Großfrachtraum des Frankfurter Flughafens einige grün verpackte Paletten von einem Gabelstapler herunterheben und sie dann kontrollieren, denken nämlich gar nicht an SKF-Kugellager.

Genau genommen: Sie denken an überhaupt nichts Konkretes, die Sendung kommt ihnen bloß verdächtig vor. Als die ersten Pakete offen sind, wissen sie auch warum: Sie entdecken nachgebaute SKF-Rollenlager im Wert von 120.000 Euro, Gesamtgewicht: 750 Kilo. Ebenfalls in der Sendung: weitere 750 Kilogramm an Lagern eines anderen namhaften Herstellers. Die Plagiate waren offensichtlich für den Einsatz in polnischen Industriemaschinen bestimmt. Stattdessen werden sie, nachdem Experten den Fälschungsverdacht bestätigen, noch am Flughafen vernichtet.

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Europäische Premiumhersteller kämpfen gegen die globale Fälschermafia

Und doch ist es nur ein kleiner Schlag gegen eine Fälschermafia, die europäischen Premiumherstellern längst das globale Spielfeld streitig macht: Von der Radmutter bis zur voll einsatztüchtigen Spritzgießmaschine machen Fälscherbanden aus China und anderen Ländern vor keinem Industrieartikel mehr halt. Gefälscht wird, was sich kostengünstigst herstellen lässt – oft liegen die Preise für Imitate nur bei einem Bruchteil des Originals.

Das Ergebnis der Fälschungen, die häufig in ostchinesischen Provinzen wie Zhèjing und Jiangsu, aber auch im industriellen Speckgürtel fiebriger Millionenmetropolen wie Shanghai hergestellt und dann in Regale oder Internetschaufenster geschmuggelt werden, ist mal besser, mal schlechter: Neben Bearbeitungswerkzeugen und Pneumatikzylindern, die selbst bei näherem Hinsehen kaum als Fälschung zu entlarven sind, gibt es auch weniger glückliche Versuche. So wurden Schaltschränke eines europäischen Premiumanbieters auf ziemlich primitive Weise imitiert – und mit dem Logo des deutschen Fußball-Bunds auf den chinesischen Markt geworfen. Selbst vor Industriemessen machen die Fälscher nicht halt: Ausgerechnet den Slogan „Against Copying“ der Messe Frankfurt fanden die Chinesen nachahmenswert – und übernahmen ihn prompt für die eigene Hausmesse in Shanghai.

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Die verheerenden Auswirkungen von Produktpiraterie

Klare Rechtsverstöße, die nicht immer sofort auffliegen – und die europäische Industrie richtig teuer kommen: Nach Zollschätzungen gefährdet Produktpiraterie in Deutschland 70.000 Arbeitsplätze. Auf nicht weniger als 127,4 Millionen Euro belief sich der Wert der Waren, die der deutsche Zoll 2012 wegen Produktpiraterie beschlagnahmte – in Österreich waren es 4,2 Millionen. Betrachtet man Maschinen und Werkzeuge isoliert, zog der deutsche Zoll Fälschungen im Wert von fast 13 Millionen Euro aus dem Verkehr – und das, obwohl laut Schätzungen nur jede fünfzigste Lieferung kontrolliert wird. Fast jede Branche hat ihre eigenen Horrorgeschichten zu erzählen: Rechnet man etwa die Umsätze aller Fälscher von Halbleiterprodukten weltweit zusammen, „wären sie ein sicherer Kandidat für die Top-Fünf-Rangliste der umsatzstärksten Hersteller“, heißt es bei einem Chiphersteller ernüchtert. Wie viele andere will er den Durchmarsch der Fälscher stoppen: Die Anzahl der Anträge auf Tätigwerden des Zolls, die Unternehmen bei einem Piraterieverdacht stellen können, erreichte im Vorjahr hierzulande mit 883 einen neuen Höchststand.

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Zugleich waren die Mittel, die europäische Unternehmen für die Abwehr von Fälschungen und Imitaten aufwenden, noch nie so hoch. Die Zentrale des Elektronikkonzerns ABB gibt jedes Jahr mehr als eine Million Schweizer Franken für den Kampf gegen Imitate aus – Aufwendungen für Prozesse und Kosten einzelner Ländervertretungen gar nicht eingerechnet. Alle Mittel scheinen dafür recht: Zollrazzien und Schauprozesse sind für viele in der Industrie längst Realität. Doch dauerhafte Erfolge gegen die Fälscher, die nicht nur im Schummerlicht, sondern häufig schon mit westlicher Automatisierungtechnik und Qualitätssicherung hocheffizient Imitate nachbauen, bleiben die Ausnahme: Sie sind organisiert, trickreich und mit geringeren Mitteln flexibler als die Originalhersteller. Ein Fälscherreport in sieben Kapiteln.

Kampf gegen Produktpiraterie

Die Zahlen, die Hans-Jochen Beilke auf den Tisch legt, machen deutlich, dass es kein gedeihliches Nebeneinander gibt: „Wir gehen davon aus, dass Fälschungen unserer Produkte einen Anteil von rund 150 Millionen Euro pro Jahr ausmachen, also zehn Prozent unseres Umsatzes“, rechnet der Vorsitzende der Geschäftsführung des Ventilatorenherstellers ebm-papst vor. Es kann aber noch schlimmer kommen. Von rund zwanzig Prozent Umsatzeinbußen spricht man etwa beim Zylinderhersteller Worthington. Der Europa-Vertriebschef für Einzel- und Großhandelsprodukte, Timo Snoeren, nennt dazu Erfahrungen aus Großbritannien: „Dort gibt es für Brenner, die wir produzieren, drei große Wiederverkäufer. Zwei davon haben statt unserer Originale Imitate im Programm und zwanzig Prozent Marktanteil. Bei einem Marktvolumen in England von drei Millionen Euro macht das bereits über eine halbe Million Euro aus. Und das ist jetzt nur ein Produkt, in einem Land“, so Timo Snoeren.

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Eines ist in den gigantischen Zahlen aber noch gar nicht mitgerechnet: Der Imageschaden, der entsteht, wenn gefakte Produkte versagen. Robert Stöckl, Vorstand beim Schweißmaschinenhersteller EWM, kann sich noch gut daran erinnern, wie man vor drei Jahren buchstäblich im letzten Moment verhinderte, dass tausende EWM-Geräte mit gefälschten Kondensatoren ausgeliefert wurden: „Wir haben erst bei der abschließenden Qualitätsprüfung gemerkt, dass etwas nicht stimmt, und haben die Geräte dann wieder auseinandergenommen.“ Zu erkennen, dass gefälschte Kondensatoren die Ursache waren, brauchte noch einmal Zeit. „Die haben von außen echter ausgesehen als die Originale“, sagt Stöckl. Erst als man sie abwog, kam der Betrug zum Vorschein. Statt die Dinge zu vergießen, hatten die Fälscher einfach Pappe als Füllmaterial verwendet. „Das Tückische daran“, erinnert sich Stöckl, war, dass die Schweißgeräte auch mit den gefälschten Kondensatoren zunächst funktioniert hätten. Nur wären sie dann ziemlich schnell kaputt gegangen. „Stellen Sie sich den Schaden vor, den wir da gehabt hätten!“, so Stöckl. Immerhin hat Stöckl die Gewissheit, dass die vielen Tests, die EWM bis zur Auslieferung vornimmt, wie etwa hundertprozentige Überprüfungen der Leiterplatten und der Geräte im Gesamten, einen sicheren Schutz vor Plagiaten bieten.

Wettrennen

Und trotzdem ist die Gefahr, dass Produktimitate nach Europa kommen, mit dem Wiedererstarken der Märkte nach der Krise noch niemals größer gewesen. „Ab 16 Wochen Lieferzeit nimmt die Plagiatszahl in Europa zu“, sagt Steffen Zimmermann, Produktpiraterie-Experte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Im selben Ausmaß steigt der Druck auf die Zöllner. „Neben Anträgen auf Tätigwerden des Zolls, die wir bereits in der gesamten EU gestellt haben, wollen wir künftig auch gemeinsame Kontrollen mit dem Zoll an wichtigen Umschlagplätzen angehen“, erzählt Konrad Bechler, Markenschutzexperte bei Infineon. Die Deutschen sind massiv von gefakten Chips betroffen – es dauert nur Sekunden, bis man über Plagiate auf Internet-Handelsplattformen stolpert.

Schulungen für Zöllner bietet auch der Aktionskreis gegen Produkt- und Markenpiraterie an. Zuletzt waren zehn Firmen – darunter ein großer Automobilist – in Rostock mit von der Partie. Die Hansestadt ist für Fälscher wegen ihres Ostseehafens interessant – und in Rostock „verläuft auch die Ost-West-Achse“, erzählt APM-Mann Philipp Hanske. „Es ist ein Wettrennen, bei dem wir einen Schritt vor den Fälschern sein müssen“, erklärt Gerhard Marosi, Experte für Produktpiraterie im Finanzministerium, die Strategie. Dem oft geäußerten Argument, die Zöllner vor Ort würden gar nicht über das nötige technische Wissen verfügen, um Fälschungen zu erkennen, kann Marosi nichts abgewinnen: „Unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind so geschult, dass sie komplexe Fälschungen sofort erkennen. Die steigende Zahl der Beschlagnahmen ist ein klarer Hinweis dafür, dass sie ihren Job verstehen. Die endgültige Entscheidung darüber, ob ein Produkt gefälscht ist, muss allerdings ohnehin der Rechtsinhaber treffen. Unsere Aufgabe besteht darin, Verdachtsmomente rasch zu erkennen und dann zu prüfen.“

Wie bei jener Fracht, die im Vorjahr in Vorarlberg aufflog. Als die Beamten routinemäßig den Computer mit den Daten einer Lieferung fütterten, die über die Straße nach Österreich kam, stellte der Rechner die Sendung in den sogenannten Rotkanal, ein Warnhinweis, bei dem die Zöllner verpflichtet sind, genau zu kontrollieren. Diesmal war die Mühe nicht umsonst: die Beamten fanden Kühlergrills, Scheinwerferabdeckungen und Lampen für verschieden europäische Automobilmodelle. Insgesamt 12.500 Stück, allesamt gefälscht.

Manchmal hilft den österreichischen Zöllnern – genauso wie ihren Kollegen in Frankfurt – der Zufall oder, wenn man so will: die Intuition. „Die Sendung, die als Bremsbeläge eines asiatischen No-Name-Herstellers deklariert war, sah unverdächtig aus“, erinnert sich ein heimischer Zöllner an einen aktuellen Fall. „Auch der Computer hat die Papiere, ohne Alarm zu schlagen, akzeptiert.“ Der Beamte beschloss trotzdem, kurz in die Sendung zu schauen, und entdeckte dank seines geübten Auges, dass die Beläge nicht automatisch, sondern von Hand in die Schachteln sortiert waren. Was ihn veranlasste, zwei weitere Schachteln aufzumachen. In einer davon fand er dann unter den Bremsbelägen auch Faltkartons mit den gefälschten Logos von namhaften Automobilherstellern. Ein Trick, den auch Mischy Waldner, verantwortlich für die Koordination der Anti-counterfeit-Aktivitäten bei ABB, kennt: „Auch wir erleben es immer öfter, dass Fälschungen als No-Name-Produkte nach Europa kommen und erst da gebrandet werden. Die gefälschten Labels oder Etiketten dafür kommen mit einer anderen Sendung.“ Die Verantwortlichen dingfest zu machen, ist bei solchen geteilten Sendungen besonders schwierig. Betriebe packen das Übel deshalb immer öfter an der Wurzel an – sie gehen gegen Fälscher direkt auf ihrem Heimmarkt vor.

Es war ein Besuch der unangenehmen Art für den Betrieb in der chinesischen Provinz Wuxi. Und er kam wie ein Faustschlag: Auf richterliche Anordnung durchsuchen Ende Juli 2012 Ermittler die Produktionshallen der Firma und stellen alles auf den Kopf. Der Verdacht, der sich schnell bestätigt: Die Fabrik baut im großen Stil Schaltschränke des deutschen Herstellers Rittal nach. Doch so sehr die Ermittlungen in Wuxi nach einer Blitzaktion aussehen, so wenig überstürzt sind sie: „Von Schnellschüssen, also Razzien oder einstweiligen Verfügungen, ohne ernsthafter Recherche, halten wir wenig“, schildert Jürgen Schnaubelt, Verantwortlicher für Qualitätsmanagement bei Rittal. Die Deutschen sind lieber auf leisen Sohlen unterwegs, prüfen technologische Sachverhalte und holen notariell beglaubigte Gutachten ein, um einen schnellen juristischen Erfolg gegen Imitatehersteller zu erzielen. „Den Richtern muss man die Materie schon sehr prägnant servieren“, betont Schnaubelt. Eine schlecht vorbereitete Klage würde die Gegenseite eiskalt ausnützen: „Dann werden stapelweise Kataloge von Wettbewerbern herausgeholt und argumentiert, man mache doch nichts anderes als der Markt“, so Schnaubelt.

Produktfälschungen: Deutsche Unternehmen zeigen Stärke

Sieben Fälle von Patentverletzungen seit 2009 beklagt der Schaltschrankbauer bis heute. Das diskrete Vorgehen gegen die Fälscher macht sich bezahlt: In vier Fällen zogen die Deutschen vor ein lokales Gericht – in allen Fällen waren sie erfolgreich. „Wir haben gelernt, dass europäische Betriebe auch vor chinesischen Gerichten eine Chance haben“, schildert Schnaubelt. Nur auf Industriemessen ist die Erfolgsbilanz der Industrie noch erfreulicher.

Doch der Eindruck täuscht, das wissen die Deutschen, die mit einer Patentanwältin und dem Obergerichtsvollzieher der Stadt Hannover im Anmarsch sind. Und finden, wonach sie suchen: Exakte Kopien von Stego-Produkten. Ein Vergleich der Datenblätter bestätigt den Plagiatsvorwurf endgültig und der Fälscher muss seinen Stand räumen. Ein Vorfall, den Tobias Wuttke, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei der Kanzlei Meissner Bolte, als „einen der dankbaren Fälle“ bezeichnet. Denn ein deutscher oder österreichischer Gerichtsstand ist schon viel wert. „Es fallen für eine Klage keine Zustellungs- und Übersetzungskosten an“, weiß Wuttke. Doch die Lernkurve der Fälscher ist belegt. „Dass Gefahr auf europäischen Messen droht, ist mittlerweile bekannt“, so Wuttke. Folglich verlagern sich die Fälscher mehr auf patentrechtliche Verstöße, die schwerer zu ahnden sind.

Es war ein Fressen für die versammelten Fotografen. 26 Tonnen gefälschte Lager – Gegenwert: eine Million Euro – landen Ende Juni glitzernd auf dem Schrottplatz des Entsorgungsbetriebs Interseroh Franken Rohstoff GmbH in Schweinfurt. Schon 2007 sorgte der Lagerhersteller Schaeffler mit einer ähnlichen Vernichtungsaktion für Schlagzeilen – auch diesmal wissen sich die Deutschen eindrucksvoll zu inszenieren: Die Plagiate von Spindel-, Pendelrollen-, Kugel- und Nadellagern mit den Markenaufdrucken INA und FAG werden geschreddert. Sie stammen von Razzien bei Händlern in Italien, Deutschland und England – viele Plagiate haben aber häufig anderswo ihren Ursprung: In China schaut sich der Betrieb 200 bis 300 Plagiatsfälle pro Jahr an – „wir gehen immer mehr dazu über, Strafverfahren anzustrengen“, erklärt Bichelmeir-Böhn.

Wie solche Ermittlungen aussehen, weiß der Münchner Anwalt Hans Joachim Fuchs zu berichten. „Wir versuchen, die geheimen Fabriken, die es offiziell meist gar nicht gibt, zu finden.“ Die Methoden, derer sich Fuchs, der eher wie ein gemütlicher Restaurantkritiker denn wie ein Verbrecherjäger aussieht, bedient, würden jedem Agententhriller zur Ehre gereichen: Chinesische V-Männer, die Kaufinteresse vortäuschen, um die Fälscher vertrauensselig zu machen. Notare, die sich als Geschäftsleute ausgeben, um im entscheidenden Moment mit versteckten Kameras die Fälschung vor Ort zu dokumentieren. Und natürlich: Razzien in Kooperation mit der chinesischen Polizei. Fuchs ist erfolgreich: „Wir haben bislang nur zwei Prozesse verloren“, sagt er.

Chinesische Produktfälschungen: Unternehmen kämpfen um Rechte

Wie Fuchs, der von steigender Kooperationsbereitschaft der chinesischen Behörden spricht, sieht auch Schaeffler-Expertin Ingrid Bichelmeir-Böhn Behördenwillkür oder ein „Mauern“ von Politik und Justiz nicht als Problem. Das wirklich Schwierige sei, sagt sie, an die Hintermänner zu kommen. Trotz Razzien und engster Zusammenarbeit mit Agenturen für gewerblichen Rechtsschutz – sogenannten IP Agencies – sei dem Konzern bisher noch kein richtig dicker Fisch ins Netz gegangen: „Wir haben noch keinen gehabt, der eine schöne Funktion bekleidet“, sagt Bichelmeir-Böhn. Die Ursache liegt in der extrem arbeitsteiligen Vorgangsweise der weit verzweigten Fälscherbanden begründet. Vieles geschieht dezentral – „etwa die Produktion oder der Druck der Handbücher inklusive Aufdruck der Kundenhotline“, so die Schaeffler-Expertin. Vor allem Mittelständler kommen dagegen kaum an – selbst wenn sie nichts unversucht lassen.

Thorsten Kettners Vortragsthema „Rechtsdurchsetzung in China“ ließ Brisanz vermuten. Doch dass es dann so dick kommen würde, ahnte keiner im Plenum. Anfang Februar 2012 zieht der Forschungschef für Systemintelligenz beim Pumpenhersteller Wilo über Produktpiraterie ein besorgniserregendes Resümee: Der Kampf gegen chinesische Fälscher sei für die Dortmunder „nicht zu gewinnen“, sagt Kettner in seinem Vortrag. Zwölf Razzien, tausend beschlagnahmte Produkte, sechs gewonnene Gerichtsprozesse – all das ändert nur wenig an seinem Fazit: Eine Rechtsdurchsetzung in China sei möglich, es gebe aber „keine Aussicht auf dauerhaften Erfolg“. Ein Problem von vielen: Auch bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten sind die Fälscher gerichtlich oft nicht belangbar, weil sie geschickt Gesetzeslücken ausnützen. So konnte ein asiatisches Imitat der von Worthington Cylinders vertriebenen Balloon-Time-Kartusche – sie dient etwa dem Befüllen von Party-Luftballons – jahrelang unbehelligt verkauft werden, obwohl sie eindeutig gegen Sicherheitsbestimmungen verstieß. „Die Fälscher haben eine Gesetzeslücke ausgenützt und Kartusche und Ventil einzeln zu einer Zulassung angemeldet“, erzählt Europa-Vertriebschef Timo Snoeren. Inzwischen ist wenigstens dieses Schlupfloch beseitigt.

Ungleiches Rennen

Für Mittelständler bleibt es in diesem ungleichen Rennen aber doppelt schwer, zu bestehen: „Die Chinesen unternehmen größte Anstrengungen, auch vermeintliche Nischenprodukte von kleinen heimischen Start-ups zu kopieren“, beobachtet Patentanwalt Marc Keschmann von der Wiener Kanzlei Haffner & Keschmann. Nicht nur schultern KMU die teils erheblichen Kosten für Marken- und Patentschutz in Fälscherdomizilen weniger leicht, sie haben auch den Nachteil fehlender Vor-Ort-Präsenz. Und wenn es sein muss, wechseln die Fälscher Vetriebswege wie andere ihre Hemden: „Wir merken das sehr stark. Sobald wir hier in Frankfurt einen Aufgriff machen, kommen ähnliche Sendungen nicht mehr herein. Die Fälscher versuchen es dann über andere Flughäfen oder andere Länder“, sagt Isabel Gillmann vom Frankfurter Flughafenzoll. Auch gegen Handelsplattformen wie Alibaba oder Ecplaza, die eine gezielte Suche nach tausenden Plagiaten erleichtern, erzielen selbst Markenschutzabteilungen großer Betriebe nur bescheidene Erfolge. Einzelne Links zu den von Händlern feilgebotenen Plagiaten könnten zwar gestrichen werden. „Aber das heißt nicht, dass sie dadurch dauerhaft eingedämmt werden“, beobachtet Ingrid Bichelmeir-Böhn von Schaeffler. Der einzige Ausweg aus der Misere wären fälschungssichere Produkte – doch so weit ist die Industrie noch lange nicht.

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Mit einem horizontalen Bearbeitungszentrum machten die Deutschen die Probe aufs Exempel. Mithilfe der Maschinensteuerung einer Deckel-Maho- Fräsmaschine (Typ: DMC 65H DUO BLOCK) evaluieren Hersteller um Festo im Jahr 2010, ob das digitale Typenschild zur Echtheitsüberprüfung verbauter Komponenten taugt. Das Ergebnis ist überwältigend: Sowohl die Identifizierung über die Schnittstelle PROFIBUS als auch über die Funkschnittstelle funktioniert tadellos. Festo und DMG beschwören feierlich eine Kooperation – Pneumatikkomponenten sollen künftig bei Inbetriebnahme der Maschine eine Prüfung auf Originalität durchlaufen. Gerade für den Hersteller Festo, der den kalten Atem von Fälschern im Nacken spürt, eine Chance.

Und trotzdem ist von einem Einsatz technischer Schutzvorrichtungen in aktuellen Produktpaletten vieler Hersteller noch wenig zu sehen. Viele wissen zu wenig darüber, andere streiten die technische Relevanz ab. Und das, obwohl es nachweislich Erfolge gibt: Die Wiener Neudorfer Firma Securikett stellt etwa Sicherheitsetiketten her, die wirksamen Schutz bieten. „Aus einer Kombination von Flexo-, Sieb- und Digitaldruck sei das Etikett schwer zu replizieren“, gab es unlängst Branchenlob für die Niederösterreicher. Das Problem, das freilich bleibt: Häufig geht es nicht ohne neue Fertigungsplanung. Ein Automatisierer griff für den Umbau seines Logistiksystems tief in die Tasche, um jede Verpackung mit einer eindeutigen Nummer zu versehen. Aus Kostengründen scheuen sich deshalb viele noch, den Schritt zum fälschungssicheren Produkt zu tun – auch wenn es die Brand-Protection-Teams der Betriebe entlasten würde.