Logistik : Speditionskartell: Wie geheim war die "SSK" wirklich?

Speditionskartell
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Ein kleiner Lieferwagen war notwendig, um die ganzen Unterlagen überhaupt transportieren zu können. Über 30.000 Seiten hat die Bundeswettbewerbsbehörde in den vergangenen zwei Jahren mit Hilfe eines Kronzeugen zusammengetragen. Am 18. Februar 2010 wurden die mit Preislisten, Sitzungsprotokollen und Kundenprofilen gefüllten Kartons dann in den Laster gepackt. Das Ziel der Fuhre: der Schmerlingplatz 16 im ersten Wiener Gemeindebezirk, dort hat das Kartellgericht seinen Sitz. Ihm soll das umfangreiche Material als Beweis dienen, dass die Speditionsbranche jahrelang hinter verschlossenen Türen Preise und Kunden abgesprochen hat. „Wir haben beim Kartellgericht Anträge gegen 42 Unternehmen eingebracht“, sagt Stefan Keznickl, Sprecher der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Die Absprachen legten ein „Hardcore-Kartell“ nahe. „Dauer , Teilnehmerzahl und ein besonders hoher Organisationsgrad auf derselben Stufe der Produktions- und Vertriebskette", so die BWB, verursachten einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden, der „noch nicht quantifizierbar“ ist. Doch wie ging das große Mauscheln und Packeln vor sich, an dem sich praktisch alle Spediteure mit Rang und Namen beteiligten? Gründerzeit.Wer die aktuellen Ereignisse nachvollziehen will, muss mehr als sechzig Jahre zurückschauen. Damals, einige Jahre nach Kriegsende, organisierten sich erstmals Stückgut-Spediteure innerhalb des Zentralverbandes Spedition & Logistik. Sie gaben sich – entsprechend ihrer Spezialisierung - den sperrigen Namen „Spediteurs-Sammelladung-Konferenz“ und meldeten sich bei Gericht als Kartell an. Dieser Zusammenschluss bestand bis zum EU-Beitritt Österreichs, also mehr als 40 Jahre. Danach änderte sich die Rechtslage – und fortan waren Kartelle auch hierzulande verboten. Eine Ausnahme bildeten Bagatellkartelle. Dabei handelt es sich um Zusammenschlüsse, bei denen die Teilnehmer nur einen kleinen Anteil am regionalen oder nationalen Markt besetzen. Im Jahr 1995 erfolgte die Anmeldung der Spediteurs-Sammelladung-Konferenz als Bagatellkartell beim Kartellgericht Wien. Die aktuellste Mitgliederliste dieser SSK (Stand November 2004) finden Sie hier. Zu den Veröffentlichungen und dem universitären Beistand der SSK geht es hier.

Die fortan tagende Spediteursrunde war kein loser Zusammenschluss. Sie wies klare Strukturen auf, die jedem Verein zur Ehre gereicht hätten. Es gab einen Vorstand, eine Vollversammlung und einen Ausschuss. Für ihre Treffen, die mehrmals pro Jahr stattfanden, wählten die Mitglieder oftmals die kargen Räume des Zentralverbandes im 15. Bezirk - mitunter zog es die Damen und Herren in die noble Wiener Innenstadt. Die Zusammenkünfte dienten der Vorbereitung der jährlichen Vollversammlung, auf der die Mitglieder ihr weiteres Vorgehen abstimmten. Dabei gab sich die SSK - so die umgangssprachliche Bezeichnung - wenig Mühe, ihr Wirken zu verschleiern. Sie war sogar verlegerisch tätig: Jedes Jahr gab sie eine eigene Publikation heraus, in der die neuen Tarife aufgeführt waren. Das Heftchen, das auf dem Schreibtisch jedes größeren Verladers lag, konnte jeder gegen eine Gebühr erwerben - entweder beim Zentralverband oder direkt beim Verlag. Über die Jahre wurde die SSK so selbstverständlich, dass sogar angehende Logistiker das Thema im Rahmen der Ausbildung behandelten. „SSK-Schnell, Sicher, Kompetent“. Die Mitglieder der SSK hatten sehr konkrete Vorstellungen, was die Preisfindung anging. So fand sich auf den ersten Seiten des Heftchens eine Tabelle mit Entfernungszonen. Aus dieser konnte für jeden Transport innerhalb Österreichs eine Nummer ermittelt werden – ähnlich der Schraubenauszeichnung mit Bauhausregal. Mit deren Hilfe ließen sich dann aus einer weiteren Tabelle die gewichtsabhängigen Preise ermitteln. Nach der ab 1. November 2007 geltenden Fassung mit dem Titel „SSK – Schnell, Sicher, Kompetent“, die dem Industriemagazin vorliegt, kostete der Haus-zu-Haus-Transport einer 500 Kilogramm schweren Sendung, etwa einer Maschine, von Wien nach Salzburg 167,80 Euro exklusive Umsatzsteuer. Für die Berechnung der Maut hatte die SSK sogar universitären Beistand. Das WU-Institut für Transportwirtschaft und Logistik von Professor Kummer lieferte die entsprechenden Tabellen. Von den Verladern, so ein Branchenkenner, wurden die Tarife als verbindlich für die Mitglieder der Spediteur-Sammelladungs-Konferenz verstanden. Die Tarife sollen sich an die von BEX – in Höhe und Gestaltung - angelehnt haben. BEX ist der Bereich innerhalb der ÖBB-Tochter Rail Cargo Austria, der den Transport von Stückgut im Hauptlauf mit der Bahn abwickelt. „Im Aufzugskartell waren es die Preise bei Herstellung und Service, die abgesprochen waren. Die Spediteure sind noch einen Schritt weiter gegangen, sie haben die einzelnen Kostenelemente gemeinsam festgelegt“, sagt Keznickl von der BWB und erwähnt Aufzeichnungen, aus denen hervorgeht, dass die SSK auch die Kunden unter sich aufgeteilt haben soll. Das Ende. Die SSK war als Bagatellkartell genehmigt - „gemäß dem Kartellgesetz 1988 in der damals geltenden Fassung“, bestätigt der Sprecher des Kartellgerichtes. Seit 1. Jänner 2006 gilt ein neues Kartellgesetz – und das ließ in der Branche wohl ernste Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Spediteur-Sammelladungs-Konferenz aufkommen. „Wir haben das Kartell im Jahr 2007 beendet, als wir festgestellt haben, dass die Novelle uns nicht zum Fortführen berechtigt“, sagt Harald Bollmann, Präsident des Zentralverbandes Spedition & Logistik. Ob das stimmt, bleibt im Verborgenen – immerhin wurde im selben Jahr noch eine neue Tarifordnung aufgelegt. Ein Mitglied wollte jedenfalls auf Nummer sicher gehen und meldete sich Ende 2007 bei der Bundeswettbewerbsbehörde als Kronzeuge. Daraufhin begann diese mit ihren Ermittlungen und förderte haufenweise Unterlagen zu Tage, die mittlerweile beim Kartellgericht liegen. Dieses prüft nun, ob ein Verstoß gegen EU-Kartellrecht vorliegt. Mitglieder. Große Logistiker wie Gebrüder Weiss, Schenker und Logwin haben mittlerweile bestätigt, dass bei ihnen ermittelt wird. Ein offizielles Statement gibt es bis dato nur von der RCA, die die Vorwürfe zurückweist. Insgesamt sollen 42 Unternehmen aus ganz Österreich der SSK angehört haben. Wer zumindest zeitweise in der Spediteursrunde saß, ist aber auch kein Geheimnis. Die SSK-Tarifordnung des Jahres 2004 enthält eine alphabetisch sortierte Mitgliederliste - die Sie auf den Dossier-Seiten des Industriemagazin abrufen können.