US-Industrie : Wiederauferstehung

Aufmacher Cover IM 4 April 2014
© Fotolia.com/Wolfram Otto

Amerikaner mögen Geschichten wie diese. Ein Drama. Ein unfreiwilliger Held. Und ein Happy End. Wir schreiben das Jahr 1999 und ein Team von Managern und Technikern des oberösterreichischen Kunststoffherstellers Greiner ist am Weg durch die USA. Laborausrüstung, die bislang aus Oberösterreich geliefert wird, soll zukünftig auch direkt am anspruchsvollsten Healthcare-Markt der Erde produziert werden. Im Frühherbst macht der Tross halt in Monroe, North Carolina.

Nie mehr die wichtigsten News aus Österreichs Industrie verpassen? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: Was in der Industrie wichtig wird. Täglich um 7 Uhr in Ihrer Inbox. Hier geht’s zur Anmeldung!

Greiner in den Südstaaten: Erfolgreiche Expansion dank lokaler Partnerschaften

Das Südstaaten-Städtchen scheint wie geschaffen für ein Greiner-Werk: Ein naher Kunststoffcluster verspricht Mitarbeiter mit Vorkenntnissen, die geografische Lage am Schnittpunkt dreier Autobahnen ist logistisch bestechend. Lokale Steuern, Energie, Grund und Personal sind in den Südstaaten noch weitaus günstiger als im Norden. Sogar ein so genanntes Shell-Building, eine schützende Halle über dem bereits erschlossenen Land, ist für einen potenziellen Investor schon errichtet. Nach einigen Tagen intensiver Gespräche ist klar: Für einen Abschluss reicht die Zeit nicht. Ein freudiges Ereignis macht für ein Mitglied der Greiner-Delegation die rasche Rückreise erforderlich.

Lesen Sie dazu auch: Greiner Innoventures: "Was ist schon ein Quartal?"

Ohne sie ist an einen Abschluss nicht zu denken. Das ist, so will es der Gründungsmythos, den sich die Mitarbeiter bei Greiner in Monroe erzählen, der Moment des Christopher Platé. Der Chef der lokalen Ansiedelungsagentur spürt: Die Aufgabe, einen Arzt zu finden, dem die Europäer so bedingungslos vertrauen wie der Hebamme in Oberösterreich, ist jetzt eigentlich noch viel wichtiger als die Gespräche über die Überbrückung von Spannungsunterschieden im Stromnetz, die die Greiner-Maschinen in die Knie zwingen können.

Lesen Sie hier noch: Greiner-Chef Axel Kühner: "Das Geschäft ist in allen Bereichen anspruchsvoller geworden"

Christopher Platé hatte offenbar den richtigen Riecher. Denn der Bub erblickte letztlich in Monroe gesund und wohlbehalten das Licht der Welt. Er ist mittlerweile fast 15 Jahre alt – exakt so alt wie die Historie der Greiner-Gruppe in den USA. Die zarte Summe von sieben Millionen Euro wurde 1999 in Monroe investiert, 40 Jobs geschaffen. Heute werken fast dreimal so viele Leute vor Ort und Greiner Bio One macht fast 23 Prozent des Umsatzes in den USA.

US-Markt boomt: Greiner, Alpla und Blum investieren Millionen in neue Werke

„Am amerikanischen Markt ist derzeit ein unglaublicher Zug drinnen“, sagt Axel Kühner, Vorstandschef der Greiner Holding. „Im Sog der niedrigen Energiekosten entfaltet sich derzeit ein Wachstum, das längst auch in nicht energieintensive Branchen wie unsere hineinwirkt“, so der Greiner-Chef. Die Nachrichten der letzten Monate bestätigen das: So investierte etwa der Vorarlberger Verpackungshersteller Alpla 54 Millionen Euro im Vorjahr in mehrere neue US-Werke. Der oberösterreichische Maschinenbauer Anger stieg zuletzt mit seinem US-Engagement zum neuntgrößten Lieferanten des Fiat-Chrysler-Konzerns weltweit auf. Und mit dem letzten Ausbauschritt des Blum-Werkes Lowesville (keine 70 Kilometer vom Greiner-Werk entfernt), der im letzten Jahr abgeschlossen wurde, überschreitet der Vorarlberger Möbelbeschläge-Hersteller mit seinen US-Umsätzen erstmals die 10-Prozent-Grenze.

Lesen Sie dazu auch: Wie Alpla an neuen Absatzfeldern für Kunststoffprodukte schraubt

Dass nach Jahren der Produktionsverlagerung von den USA nach Fernost die Vorteile Asiens als Standort allmählich abzuschmelzen beginnen, verleiht dem Trend ein weiteres positives Momentum. „Für die gute Entwicklung der USA gibt es viele Gründe: die Kostenstruktur, den Dollarkurs, aber auch die Tatsache, dass der asiatische Raum nicht mehr ganz so attraktiv ist wie früher“, sagt Lars Grünert, der für die USA zuständige Geschäftsführer des Maschinenbauers Trumpf.

Greiner Bio One profitiert

Der Dreh- und Angelpunkt für die industrielle Wiedererweckung der USA ist wohl die Energiefrage. Dank Schiefergas- und Schieferölförderung ist das Land in der Lage, seine größte Achillesferse zu überwinden – die Abhängigkeit von Energieimporten. Mit Fracking wollen die Staaten bis 2020 bei der Erdölförderung Saudi-Arabien überholen, beim Erdgas wird man schon 2015 Russland als den siebtgrößten Produzenten abgelöst haben. Und auch bei der Kernenergie kennen die Amerikaner traditionellerweise nur wenig Zurückhaltung. Während kleinstädtische Kommunen hierzulande höchstens Kläranlagen besitzen, ist Monroe, die Heimatstadt von Greiner Bio One, stolzer Anteilseigner eines Atomkraftwerkes.

All das wirkt sich auf die Preise aus. „In den USA kostet das Gas rund ein Viertel des europäischen Preises, beim Strom liegen die Amerikaner 30 Prozent unter dem europäischen Niveau“, sagt Wolfgang Eder, Vorstandschef der Voestalpine, der nahe der texanischen Stadt Corpus Christi eine Stahl-Vorproduktion um rund 550 Millionen Dollar auf die grüne Wiese stellt. „Wenn in Europa der Gaspreis um 35 Prozent steigt und in den USA im gleichen Zeitraum um 66 Prozent fällt, dann bleibt das natürlich nicht ohne Folgen für die Produktion“, bestätigt auch Peter Mitterbauer, Vorstandsvorsitzender beim oberösterreichischen Automobilzulieferer Miba, die Vorteile billiger US-Energie.

Lesen Sie dazu auch: Voestalpine: Massiver Gewinneinbruch; Sparmaßnahmen notwendig

Doch nicht nur das: Für energieintensive Unternehmen bedeutet der Standort USA zusätzlich den Wegfall der teuren Verschmutzungsrechte, die ab 2014 in immer größerem Ausmaß zugekauft werden müssen. Der von der europäischen Klimapolitik in die Flucht geschlagene Wolfgang Eder rechnet für die Voestalpine von 2013 bis 2020 mit mindestens 280 Millionen Euro zusätzlichen Kosten für den Erwerb von CO2-Zertifikaten. „Bei einem EBIT von 200–220 Millionen Euro in der Steel Division der Voestalpine laufen alleine für die Zertifikate in dem Zeitraum mehr Kosten auf, als wir in einem Jahr erwirtschaften.“

Fracking in den USA: Niedrige Energiekosten locken EU-Unternehmen

Anders als in Europa rührt sich in den USA auch kaum einmal größerer Widerstand gegen das umstrittene Fracking. Was nicht unbedingt daran liegt, dass die Amerikaner keine Umweltbedenken hätten. „Doch die Vorkommen liegen in Gebieten, die so weitläufig und dünn besiedelt sind, dass es schlicht und einfach keine Bürgergesellschaft gibt, die gegen den Abbau protestieren könnte“, erklärt Christian Kesberg, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in New York. Und: In keinem Land der Erde ist derzeit die Fördertechnologie so weit fortgeschritten wie in Amerika. Während in China eine Million British Thermal Units aus Schiefergas auf 19 Euro kommen, müssen in Europa 12 Euro kalkuliert werden – in den USA kostet die gleiche Menge Schiefergasenergie umgerechnet nicht ganz drei Euro.

Skeptiker, die Amerikas Vorteile aus dem Fracking mit Vorbehalten sehen, sind unter österreichischen Topmanagern, die das US-Geschäft aus erster Hand kennen, daher selten. Herbert Schuhleitner, Vorstandsvorsitzender der auf Lichtsysteme für die Automobilindustrie spezialisierten ZKW Group, ist einer von ihnen. Er erwartet nicht, dass die extrem niedrigen Energiekosten in den USA auf dem Niveau halten werden. „Bleibt der Erdgaspreis auf dem aktuell niedrigen Niveau, werden zahlreiche Förderunternehmen in den nächsten Jahren kollabieren oder ihre Fracking-Aktivitäten merklich zurückfahren“, meint er. Denn schon jetzt sind viele davon kaum rentabel. Und ein Zurückfahren der Produktion, so Schuhleitner, dürfte sich mittelfristig auch auf den Preis auswirken.

Lesen Sie dazu auch: ZKW-Downsizing: Neben Werk in Wieselburg auch Dietach betroffen

Für Reiner Perneker, Geschäftsführer von Greiner Bio One, liegen die Tücken der US-Energieversorgung hingegen anderswo: in der berühmt-berüchtigten Infrastruktur. Stromausfälle kommen in den USA deutlich häufiger vor als in Österreich, räumt Perneker ein. „Durchschnittlich einmal im Monat fahren unsere Maschinen hier automatisch herunter, weil es zu Spannungsabfall kommt“, sagt er. Zu Beginn der Produktion, die der Oberösterreicher in Monroe aufgebaut hat, musste der sensible Maschinenpark außerdem an das reichlich rustikale US-Netz adaptiert werden: „Unsere Maschinen sind auf eine Spannung von 480 Volt ausgerichtet. Manchmal erhalten wir hier aber auch einfach 505 Volt“, erzählt Perneker. „Eine echte technische Herausforderung.“

Unternehmerischer Geist in den USA

Doch Herausforderungen – nicht nur technischer Natur – nehmen Amerikaner immer gerne an. „Die Lösungsorientiertheit der Amerikaner ist ja eigentlich sprichwörtlich“, sagt Axel Kühner, CEO der Greiner Gruppe, „das macht auch vor den Behörden nicht halt.“ Dass sich, wie im Falle Greiners, der Chef einer Ansiedelungsagentur auch persönliche Anliegen des lokalen Managements zu eigen macht und auch noch nach langen Jahren vor Ort wichtiger Ansprechpartner ist, ist da nur ein Unterschied, den Kühner zu Europa sieht. Geht nicht gibt’s nicht – auch im Umgang mit Behörden in den USA. „Typisch für die USA ist die Bereitschaft zu unkonventionellen Lösungen. Das ist ganz anders als zum Beispiel in Japan, wo man seit zwanzig Jahren das Gleiche macht, auch wenn es immer weniger funktioniert“, sagt etwa Dieter Bahn, Geschäftsführer des Maschinenbauers Anger Machining.

Lesen Sie dazu auch: Das sind Österreichs beste Maschinenbauer

Das Bekenntnis zum Unternehmertum ist in den USA – anders als in Österreich – auch durchaus struktureller Natur. „Erlaubt ist in den USA alles, was nicht verboten ist. Bei uns hat man im Umgang mit Behörden sehr oft das Gefühl, dass das umgekehrt ist“, sagt Christian Bruckner, Geschäftsführer von Worthington Cylinders, der österreichischen Tochter von Worthington Industries, die im oberösterreichischen Kienberg Stahldruckbehälter herstellt. Weniger umfassende Umweltauflagen oder eine weniger detaillierte Sozialgesetzgebung engen unternehmerisches Handeln weniger ein. „Amerikaner, die Europa kennen, sind sicher, dass sich der Kontinent mit seinem Wunsch, noch sauberer als sauber zu sein, um seine Wettbewerbsfähigkeit bringt“, sagt der österreichische Manager des US-Konzerns. „Und der Automatismus bei Lohnerhöhungen, mit dem Amerikaner in Europa konfrontiert sind, sorgt oftmals für Fassungslosigkeit.“

Doch der Reindustrialisierungs-Boom wird auch von ganz oben – von der US-Regierung – gefördert. Allein 2014 soll im Rahmen des sogenannten National Network of Manufacturing Innovation eine Milliarde Dollar für die Vernetzung von Wirtschaft und Produktionsforschung zur Verfügung stehen.

Doch wer glaubt, in den USA ein einheitliches, unternehmerfreundliches (ja fast sozialdarwinistisches) Staatsgebilde vorzufinden, hat weit gefehlt. Die USA sind mindestens so divers wie Good Old Europe selbst. Manche Staaten wie Illinois oder New York heben zusätzliche regionale Körperschaftssteuern* ein, andere wie Nevada oder South Dakota verzichten hingegen völlig drauf. Ähnlich divers wie das Steuersystem ist auch das Arbeitsrecht: In manchen Bundesstaaten (Kalifornien) ist das Kündigen von Mitarbeitern ebenso schwierig wie in Frankreich oder Deutschland, während es in anderen nur ganz wenige Einschränkungen gibt (z. B. in North Carolina).

Südstaaten-Boom: Warum Unternehmen auf den Süden der USA setzen

Das Wirtschaftsmagazin Forbes listete unlängst jene Staaten auf, in denen es 2013 die meisten Unternehmensansiedlungen gab. Die Gewinner kamen ausschließlich aus dem Süden: Neben Texas und North Carolina schafften es hier Louisiana und Georgia unter die ersten vier. Nicht nur Greiner Bio One nützt mit seiner in Monroe, mitten im Boom-Land North-Carolina angesiedelten Produktion die Vorzüge des Südens. Gerade einmal knappe 70 Kilometer von Monroe entfernt hat sich der Möbelbeschläge-Spezialist Blum niedergelassen. Das Vorarlberger Unternehmen macht inzwischen 13 Prozent seines Umsatzes, immerhin rund 170 Millionen Euro, in den Staaten. Das Werk in Lowesville wurde bereits mehrmals ausgebaut, wodurch man auch dem Trend „nach immer kurzfristigerer Auftragsvergabe“ entsprechen will, wie Geschäftsführer Gerhard Blum erklärt.

Lesen Sie dazu auch: USA Markteintritt: Finanzierbar und unkompliziert

Ebenfalls nahe Monroe, aber bereits in South Carolina hat BMW sein US-Werk in Spartanburg errichtet. Hier wird, anders als in den meisten amerikanischen Automobilfabriken, nicht nur für den Markt vor Ort, sondern auch für den Export produziert. 2013 hat Spartanburg rund 210.000 Fahrzeuge in 140 Länder der Welt exportiert und ist damit der größte Autoexporteur der USA.

Dass der Süden aufholt, zeigen übrigens auch inneramerikanische Migrationsdaten: Texas, Florida, North Carolina, Tennessee, South Carolina und Georgia gehören zu jenen Bundesstaaten, die im vergangenen Jahr am stärksten gewachsen sind. Allein Texas und Florida gewannen 2013 eine Viertel Million neue Bürger hinzu. Die größten Verlierer waren hingegen New York, Illinois, New Jersey und Kalifornien. Auf der Metaebene ist das Bild sogar noch eindrucksvoller: Alleine im Vorjahr wanderten aus dem Nordosten der USA 165.000 Einwohner aus, der Mittlere Westen verlor 182.000 und die Westküste immerhin noch 36.000 Einwohner. Einziger Gewinner: Die Südstaaten, mit einem Nettozuzug von 382.000 Personen.

Neben dem milderen Klima und niedrigen Steuern sind es vor allem Jobs, die die US-Bürger in den Süden ziehen lassen. Auch wenn die Löhne hier bisweilen mau sind – ein Hilfsarbeiter kostet Unternehmen inklusive Nebenkosten kaum mehr als 20.000 Dollar jährlich – und Gewerkschaften ein Fremdwort. Dieselben Leute, die im Norden für noch höhere Löhne protestieren, bis ihre Fabrik zusperrt, gehen dann in den Süden und arbeiten hier um einen Bruchteil ihres ursprünglichen Lohns.

Wohl um diesen Zustand weiter fortzuschreiben, ist die lokale Politik daher auch peinlich bemüht, die mächtigen Trade Unions auch in Zukunft aus dem Spiel zu halten. Als der Volkswagen-Konzern, auf Druck der deutschen Gewerkschaft, die Bildung der Unions in seinem Werk in Chattanooga zulassen wollte, war es die örtliche, republikanisch dominierte Politik, die das am Ende verhinderte. „Die hatten richtig Angst, dass es einen Betrieb mit Gewerkschaft gibt. Denn dann wäre der Bann gebrochen und der große Vorteil gegenüber dem Norden, nämlich ,non-unionized‘ zu sein, wäre dahin“, erzählt einer, der das Ringen aus nächster Nähe betrachten konnte.

Lesen Sie dazu auch: Digitalsteuer: USA drohen Österreich mit Strafzöllen

Bis zu einem gewissen Grad hat der Süden eben durchaus Interesse, als eine etwas rückständige Region zu gelten, die sich perfekt als verlängerte Werkbank für die großen Konzerne eignet.

Der Aufholprozess ist allerdings unaufhaltsam. Stellte man noch vor wenigen Jahren die Einwohner des Südens gern als ungebildete Dumpfbacken hin, die bestenfalls für Hilfsarbeiten taugen, „rednecks“ eben, dreht sich nun auch das. Zumindest, wenn man sich statt an Vorurteilen an Statistiken orientiert. In Austin, der Hauptstadt von Texas, stieg die Zahl der College-Abgänger während der letzten Dekade um fünfzig Prozent, in Charlotte, North Carolina, ebenfalls.

Dennoch, Fachkräfte zu bekommen oder Hilfskräfte so weit zu bringen, dass sie ihren Job zuverlässig machen, ist aufgrund der schlechten Vorbildung oft ein Problem. „Ausgebildete Fachkräfte wie Werkmeister bekomme ich in Österreich in sechs Monaten auf hundert Prozent Leistungsfähigkeit, hier kann das aufgrund der mangelnden Berufsausbildung bis zu zwei Jahre dauern“, berichtet Rainer Perneker, CEO der Greiner Bio One. Und Dieter Bahn von Anger Machining geht noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Ich behaupte, es ist einfacher, einen guten Techniker in Kasachstan zu bekommen als in den USA.“

Lesen Sie hier noch: USA und Deutschland einigen sich

Freilich, ein Grund, Amerika den Rücken zu kehren, ist das für die dort aktiven Unternehmen nicht. Perneker pragmatisch: „Man muss die Kirche auch im Dorf lassen. Im Südburgenland, abseits der großen Zentren, ist es auch bei uns nicht so einfach, passende qualifizierte Mitarbeiter zu finden.“ Christian Bruckner, Chef der Österreich-Tochter der amerikanischen Worthington Industries, schlägt in die gleiche Kerbe: „Es ist die halbe Wahrheit, dass man am US-Arbeitsmarkt nur sehr schwer qualifizierte Fachkräfte findet. Das Problem haben wir in Österreich nämlich genauso.“

Der Weg, mit dem sich österreichische Unternehmen in den Staaten behelfen: Sie bilden selbst aus und versuchen eigene, an heimischen Standards orientierte Lehrlingsmodelle einzuführen. Greiner Bio One tut das und auch bei der Miba hat sich diese Lösung bewährt: „In unseren Werken in den USA implementieren wir vieles von der österreichischen Ausbildungskultur und das funktioniert ziemlich gut“, sagt Vorstandsvorsitzender Peter Mitterbauer.

USA: Chancen für Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt

Zugleich versuchen die Unternehmen auch, die mit der schlechten Ausbildung verbundene hohe Fluktuation einzudämmen. Auch hier übrigens mit einem Rückgriff auf Bewährtes aus Österreich: mit freiwilligen Sozialleistungen, was in Amerika sehr oft die sonst für viele kaum finanzierbare Krankenversicherung bedeutet. Dennoch, die Tatsache, dass Mitarbeiter auch in Sachen Austritt deutlich mobiler sind als in Österreich, bleibt: „Wenn man als Mitarbeiter im Guten scheidet, informiert man in einem ,Right to Work‘-Staat wie North Carolina den Arbeitgeber vierzehn Tage vorher von seinen Kündigungsplänen“, erzählt Rainer Perneker. Denn Regelungen über Kündigungsfristen kennt das Arbeitsrecht eigentlich keine. „Wenn man im Schlechten scheidet, erscheint man nach dem Paycheck am Freitag am Montag einfach nicht zur Arbeit.“

Lesen Sie dazu auch: Umsatz- und Gewinneinbruch bei AT&S

Auf ein anderes Problem, das letztlich aber auch mit dem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zu tun hat, weist der CEO von AT&S Andreas Gerstenmayer hin: „In vielen Bereichen hat die Abwanderung der Industrie dazu geführt, dass es auch keine verlässlichen Supply-Chains mehr gibt.“ Allerdings betont Gerstenmayer, dass der Befund von Branche zu Branche unter- schiedlich ausfällt: „In der Halbleitertechnik, in der Mobilkommunikation war die USA als Standort nie weg. Diese Industriesparten entsprechen auch der amerikanischen Stärke, sich schnell auf Änderungen einzustellen. Deshalb gilt Elektronik in den USA als stabile Branche, während man sie bei uns als gefährlich und volatil ansieht.“

Fest steht jedenfalls: Das gewichtigste Argument für den Markt USA ist seine schiere Größe: Allein das Bruttosozialprodukt Kaliforniens ist weitaus größer als jenes des Rohstoffriesen Russland – das Bruttosozialprodukt von Texas, übrigens dem inzwischen größten Technologieexporteur des Landes, ist fast so groß wie jenes von Indien. Die USA sind auch der anspruchsvollste Markt: Die USA sind nach wie vor die technologisch fortgeschrittenste Nation der Welt. „Eine derart hohe Dichte an technischer Intelligenz gibt es sonst nirgendwo“, sagt der österreichische Wirtschaftsdelegierte Christian Kesberg. Was auch daran liegt, dass die Vereinigten Staaten als einzige verbleibende Supermacht nach wie vor sehr viel Geld in Militärforschung investieren. Davon gibt es dann immer wieder sehr innovative zivile Spin-offs.

Was die Amerikaner allerdings ganz massiv von den technikverliebten Deutschen, Schweizern und Österreichern unterscheidet, ist: Neue Technik, und mag sie noch so beeindruckend sein, wird hier nie um ihrer selbst willen gekauft, der Kunde erwartet sich von einer Neuerung immer als Erstes einen Vorteil, der sich in Zahlen fassen lässt.

Charakteristisch dafür ist der Weg, auf dem das Vorarlberger Unternehmen Getzner zu einem Auftrag kam, das Luxuswohnhaus The Touraine in New York gegen Lärm und U-Bahn-Schwingungen zu isolieren. Aufwändige Erklärungen, dass man in der Lage sei, Lärm und Vibrationen in einem technisch bislang nie erreichten Ausmaß zu dämmen, überzeugten nicht. Erst als man dem Betreiber des Luxustowers vorrechnete, dass er die unteren Stockwerke seines Wolkenkratzers deutlich teurer vermieten kann, wenn er sie anständig dämmt – und das auch kommuniziert –, war der Bann gebrochen. Seitdem läuft das Geschäft bestens. Amerikaner mögen Geschichten. Drama. Und ein Happy End.