Lean-Management : Vollblut-Optimierer

Wacker Neuson Roland Gmainer
© Max Wegscheidler

Jürgen Kolar kann nicht anders. Schreitet er Station für Station die hochautomatisierte Schremser Eaton-Elektronikfertigung ab, muss er den Superlativ bemühen. Kolar, seit 2011 Werkleiter im 800-Mitarbeiter-Betrieb, war in Sachen Hochvolumenproduktion zwar schon einiges gewöhnt, werkte er doch bei Magna in Russland. Doch die Waldviertler Massenfertigung ist in Sachen Output nochmal eine andere Dimension: Unvorstellbare 50 Millionen Einzelteile stößt die Produktion jede Woche aus – 4.000 Tonnen Kunststoffgranulat und 7.500 Tonnen Eisen- und Nichteisenmetalle verarbeitet der Betrieb dafür jedes Jahr.

Das richtige Betätigungsfeld für einen „operations guy“ wie ihn, der es keinen Tag aushalte, „nicht in der Fertigung zu sein“, erzählt er. Bei seiner beruflichen Vorgeschichte ebenfalls nicht verwunderlich: Dass sich Kolar sichtlich wohl fühlt beim Thema schlanke Fertigung. Ein Highlight der Schremser: Ihr Shopfloor Management. „Wie gut es in der Schicht heute oder vor einem Jahr lief – „diese und viele andere Informationen sind jederzeit abrufbar“, erklärt Kolar.

Initialzündung

Kein Zweifel: Schlagworte wie die kontinuierliche Verbesserung oder Prozessverschlankung befüllen die heimische Industrie immer mehr mit Leben. Die wirtschaftliche Notwendigkeit dafür lässt sich nicht wegleugnen, richtig angewandt sind Kaizen und Co nicht nur Erbauungslehre für Trainerstäbe. Das eigentliche Ziel: Im Unternehmen eine Lean-Kultur zu entwickeln und – so die bisherige Sicht – die zum Erfolg führenden Maßnahmen möglichst lang verdeckt zu halten. „Da wurden selbst bei harmlosen Betriebsbesuchen Zahlen versteckt oder ein Riesentheater veranstaltet, wenn ein gut eingespielter Prozess auch einmal einem Partner verständlich gemacht werden sollte“, erzählt man in der Branche.

Doch immer öfter kommt es zum Stimmungsumschwung. Man hat erkannt, dass man nur von seinesgleichen – wenn man so will, von den Besten – lernen kann. „Und dass das Ergebnis noch einmal besser ist, wenn man gezielt Unternehmen anderer Branchen mit unterschiedlichsten Produktionstechnologien und Produktionsstückzahlen anzapft. „Der Kleinserienfertiger lernt massiv vom Großserienfertiger und umgekehrt“, kann demgemäß die Formel lauten, weiß Berndt Jung, Vorstand von StEP-Up. Er weiß es aus erster Hand. Seit 2013 richtet sein Institut sogenannte Lean-Zirkel aus. Ziel: Praktischer Austausch unter Mitgliedern der heimischen Produktionselite. Mit an Bord eines 2012 installierten Zirkels: Fünf Topunternehmen, vom Kleinserienfertiger (Kaba) bis zum Großserienfertiger (Eaton), vom Motorenentwickler und -bauer (BRP- Rotax) über den Baumaschinenhersteller (Wacker Neuson) bis zum Sanitärgerätehersteller (Geberit).

„Größere Heterogenität geht nicht“, sagt Jung. Und größerer Effizienzgewinn in Betrieben, wo die „low hanging fruits“ der Produktionsoptimierung mitunter schon recht großzügig abgeerntet sind, auch nicht. „Die Idee eines höchsteffizienten Shopfloor Managements hatten wir schon in den Köpfen, die Initialzündung für die Umsetzung aber gab die Präsentation eines solchen bei Kaba“, schildert Eaton-Werkleiter Hans-Jürgen Kolar. Keine didaktische Einbahnstraße. „Wir waren überrascht und beeindruckt, mit welcher Tiefe der Massenfertiger Eaton sein Kennzahlensystem betreibt“, wurde auch Kaba-Geschäftsführer Dietmar Pfeiffer fündig.

Optimieren auf Augenhöhe

Visuelles Management statt Ideen-Einwurfkasten: Am niederösterreichischen Kaba-Standort Herzogenburg gibt es nicht nur ein topmodernes Produkt, man fertigt es auch auf ebensolche Weise. Nicht erst, seitdem Dietmar Pfeiffer 2010 als Geschäftsführer angeheuert hat, aber dank 13 Jahren Autogeschäft – zuletzt in wechselnden Funktionen bei Schukra in Berndorf – hat der smarte Manager das Lean-Gen natürlich in sich. Vor Ort sieht man die Ergebnisse – egal ob in der Galvanik oder in der Stanzerei – anhand der in insgesamt 17 Bereichen ausgerollten Infoboards.

"Davon halte ich viel“, hebt Pfeiffer zu einer Erklärung an, und immerhin sei es auch ganz entschiedene Unternehmensphilosophie: „Wir wollen den Teams Verantwortung geben“. Einerseits durch mehr Information. So würden die mittlerweile gut eingeführten Boards – Kostenpunkt über zwei Standorte: 150.000 Euro – Informationen zu wesentlichen Dingen wie Dienstplänen An- und Abwesenheiten oder Roadmaps transportieren, sie seien „aber kein Hängebrett für Flohmarktartikel“, sagt Pfeiffer.

Abteilungsleiter würden im sogenannten PDCA (Plan to Check)-Akt visuell eingebrachte Vorschläge der Mitarbeiter – man hält den formidablen Jahresschnitt von anderthalb umgesetzten Vorschlägen pro Mann seit Jahren – bewerten. Zugleich erfuhren die einzelnen Teams auch durch eine an den heimischen Shopfloors noch unübliche Maßnahme eine Aufwertung: Sämtliche Verantwortliche verfügen über ihr eigenes Budget. Die für den Arbeitsplatz betreffende Anschaffungen bzw. Optimierungen jedes Arbeitsbereichs immerhin 3.000 Euro vorgesehen, bis zu diesem Betrag entfällt die sonst übliche Mittelfreigabe zur Gänze. Ziemlich innovativ – fanden auch die anderen Teilnehmer des Lean-Zirkels, über den Pfeiffer („man trifft sich hier auf Augenhöhe“) nur Gutes zu sagen weiß. So praktiziert Eaton das Ideenmanagement zwar aller Überzeugung nach für abteilungsübergreifende Innovationen weiterhin per Einwurfkasten, aber zugleich eben auch schon abteilungsintern vollvisualisiert am – und für den – Shopfloor.

Rat und Tat

Umgekehrt fand Pfeiffer bei den Firmenbesuchen nicht nur eine Gesprächsbasis, sondern auch den einen oder anderen Augenöffner. Etwa das angesprochene, gewaltige Kennzahlenystem des Industrieelektronikherstellers und Zirkel-Teilnehmers Eaton. Nicht nur die technische Umsetzung desselben fand bei Pfeiffer höchste Anerkennung. Auch dass das Unternehmen dies eigenständig und nur mit internen Ressourcen umgesetzt hat, „beeindruckt“, sagt Pfeiffer. Erhellend auch die Gespräche mit den Experten von BRP-Rotax – Gastgeber zum Thema Industrie 4.0 – und Eaton betreffend Gesamtanlageneffektivität, sprich OEE.

„Wir wollen in Bälde in ein Tool zur OEE-Berechnung investieren und die Kollegen stehen uns seither auch vor dem Hintergrund der herausfordernden Anbietersuche mit Rat und Tat zur Seite“, schildert Pfeiffer. Ein Beispiel, warum der Erfahrungsaustausch mit den anderen Unternehmen so wertvoll ist, hat er noch. Es betrifft eine zweite Investition, die das Unternehmen in Kürze tätigen will. Zur effizienteren Auftragsverwaltung ist die Anschaffung eines Tools zur intelligenten Variantenkonfiguration angedacht – die klassischen Artikelnummern wären damit Vergangenheit. „Was der Konfigurator zu leisten imstande ist, haben wir bei Wacker Neuson spektakulär erlebt“, so Pfeiffer.

Eingriffe in die Organisation

Vorträge, Betriebsbesichtigungen und Feedbackrunden sind die zentralen Bausteine der Arbeit in den hochkarätig besetzten Zirkeln. Der Veranstalter hält sich bewusst zurück. „Wir moderieren und unterstützen, wo es nur geht, aber im Mittelpunkt stehen natürlich die Spitzenleistungen der Teilnehmer“, schildert StEP-Up-Vorstand Berndt Jung. Nach über zwei Jahren Zirkelarbeit kann er ein durchweg positives Feedback ziehen, wiewohl er nicht eine Sekunde daran geglaubt hat, „dass das Projekt scheitert“. Dafür passt der Mindset aller Unternehmen zu gut.

Beim Sanitärgerätehersteller Geberit vertritt man – wie in Lean-Kreisen üblich – die Meinung, dass es immer noch Luft nach oben gibt. Klar ist aber auch: „Jeder der im Zirkel vertretenen Betriebe hat Schwerpunkte, wo er unglaublich stark ist“, sagt Geschäftsführer Helmut Schwarzl. Das Lean-Thema ist in Pottenbrunn derzeit omnipräsent: Bis 2016 will der Betrieb seine gesamten Prozesse umgestalten, es soll eine klare Trennung zwischen Haupt- und Nebenwertströmen erfolgen. Anders gesagt: „Vom Spritzgießprozess bis zum verpackten Produkt wollen wir in einem Fluss durchfertigen“, schildert Schwarzl. Bei 120 bestehenden Anlagen und einem Vielfachen an Mitarbeitern keine Kleinigkeit. Nebenbei wurde – im Workshop im März des Vorjahres bereits heiß diskutiert – auch die Organisationsstruktur adaptiert. „Wir haben kleinere Teams mit einem neuen Führungsverständnis installiert, um das unternehmerische Handeln noch stärker auszuprägen“, so Schwarzl.

Frühmeetings abgeschaut

Angesichts des Umbruchs bei Geberit dürften die kommenden Meetings für die anderen Arbeitskreis-Teilnehmer spannend werden. Wiewohl sie auch bisher schon einiges an positiven Eindrücken und Ideen aus Pottenbrunn mitgenommen haben. „Die morgendlichen Produktionsmeetings sind bei Geberit hervorragend eingeführt“, beobachtete etwa Jürgen Kolar, Werkleiter bei Eaton. Auf das Unternehmen hinterließen sie so einen Eindruck, dass beim Elektronikhersteller nun ebenfalls „regelmäßige Frühmeetings mit knackigen Reports‘‘ angesetzt sind. Helmut Schwarzl hört das Lob nicht zum ersten Mal. „Ein sehr starkes Instrument, das massiv hilft, die Wertschöpfung zu erhöhen“, sagt er – und reicht die Lobesworte weiter. BRP-Rotax, der fünfte Teilnehmer im Bunde, verfolge einen sehr fortschrittlichen Lean-Ansatz, sagt er. Auch das Konzept so genannter Leuchtturmarbeitsplätze – nach allen Regeln der Kunst durchoptimierter Stationen an einer hochmodernen Linie – überzeugte.

Schauobjekt Referenzlinie

Selbst der jüngste Neuzugang im Lean-Zirkel – der Baumaschinenhersteller Wacker Neuson fand sich auf Anhieb im Arbeitskreis zurecht. Das Vortragsthema der Linzer, verheißungsvoller Titel „Problemlösung in der Anwendung“, fand Gehör. Besonders hervorhebenswert ist die umsichtige, aber keinesfalls zögerliche Optimierung einzelner Linien beginnend mit September 2013. Da liefen die Verbesserungen an der Minibaggerlinie an, die sich durch besonders hohe Stückzahlen auszeichnet. Die Wahl dieser Linie als Referenzlinie war aus Optimierersicht also logisch: „Bei diesen Stückzahlen schlagen sich ungelöste Probleme sehr schnell in wenig optimalen Kennzahlen nieder“, weiß Roland Gmainer, bei Wacker Neuson Linz für Lean Management verantwortlich.

Erster Schritt: Alle Einzelschritte der Vormontage, Hauptmontage und sämtlicher Qualitätsprozesse wurden durch die Kaizen-Brille kritisch hinterfragt. Ein weiterer: Auch in Linz wurde ein Mann ausschließlich für Kaizen-Agenden betraut. Mittlerweile sind auch die Lackieranlage, der Logistikbereich und ein Großteil der indirekten Bereiche wie Entwicklung, Einkauf und Kundendienst in die Kaizen-Philosphie eingebunden und werden nach allen Regeln der Kunst durchoptimiert. Schon nach einem Dreivierteljahr war es bei allen anderen Linien auch so weit. „Im Zweiwochentakt nahmen wir neue Linien in den Verbesserungsprozess auf“, schildert Gmainer. Heute gibt es im Linzer Werk keine Ecke, die nicht den Kaizen-Gedanken versprüht.

Gmainer, zuvor beim Traktorenhersteller CNH beschäftigt, wo er den Geist des World Class Manufacturing aufsog, übt sich in Understatement. Man habe „erst die Problemlösungsmaschine angeworfen, sagt er, wie es sich für einen Kaizen-Manager gehört. Anerkennung gibt es trotzdem reihum. Weil es im Wacker-Management die Initialzündung für den Weg der ständigen Optimierung gab. „Dass Führungskräfte – Geschäftsführung inklusive – regelmäßig ihre Führungsrolle beim Thema Problemlösung am Shopfloor wahrnehmen, ist der Schlüssel zum Erfolg“, sagt Gmainer.

Der Lean-Zirkel: Täglich effizienter

Wer dabei ist: Wacker Neuson, BRP-Rotax, Eaton Industries, Kaba, Geberit

Welche Themen behandelt werden: Sämtliche Produktionsoptimierungskapitel von TPM bis Wertstrom

Wie die Arbeitskreise ablaufen: unternehmensübergreifend, mit abgestimmten Themen und quartalsweisen Treffen in Betrieben

Wer moderiert: StEP-Up