Anlagenbauer : Zukunft ohne Namen

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Der Weihnachtsfrieden kommt für die Linzer Mitarbeiter der Siemens VAI heuer auf sehr leisen Sohlen. Ihr Unternehmen erhält mit Jahreswechsel einen neuen Mehrheitseigentümer aus Japan. Und niemand weiß, was dies bedeutet. Die Auftragsbücher sind leer, die Stimmung ist am Boden, das Management sprachlos, die Kommunikation im Unternehmen eigentlich nicht mehr vorhanden.

Die Nachrichten, die Mitarbeiter letztlich aus den Medien erfahren müssen, machen wenig Hoffnung auf die Zukunft: Im September mussten 290 von den bis dahin 1750 in Linz Beschäftigten gehen, voriges Jahr waren es bereits 150 Jobs, die weggefallen waren. Und jetzt wird auch noch das Headquarter nach London verlegt. Die Mehrheitseigentümer von Mitsubishi Heavy Industries (MHI) bringen für ihre 51 Prozent rund 1000 Mitarbeiter in das neue Joint Venture ein, das bisher noch keinen Namen hat.

"Perle der Verstaatlichten"

Die Siemens VAI stellt mit 8000 Jobs ein Vielfaches der Beschäftigten, der Münchner Konzern wird sich mit 49 Prozent aber auf die Rolle des Minderheitsaktionärs zurückziehen. Damit geht das Geschiebe und Geschubse um die einstige „Perle der Verstaatlichten“ weiter. Der Abstieg des weltweit agierenden Technologieführers im Bereich der Metallurgie hält an. Die Teilentmündigung durch Siemens verwandelte im Zusammenspiel mit einer globalen Stahlkrise das österreichische Leitunternehmen in einen Sanierungsfall, dessen Entscheidungskompetenzen immer weiter weg von Linz wandern.

Da hört es sich nach Pfeifen im Walde an, wenn der VAI-Betriebsratsvorsitzende Gerhard Bayer die Übernahme durch die Japaner „eher positiv“ sieht. Er geht davon aus, dass die VAI wieder „mehr Freiheiten auf den Märkten erhalten wird. Wir merken, dass die neue Konstellation unseren Konkurrenten wieder Kopfzerbrechen bereitet.“ Spricht man mit Managern der zweiten und dritten Berichtsebene, trifft man überall auf die gleiche Einschätzung: Hauptsache weg von Siemens.

Selbst über den künftigen Namen des Unternehmens wird geschwiegen. Das gedämpfte Mitteilungsbedürfnis verringert nicht die Probleme der Metallurgie-Sparte. Die Siemens VAI liefert seit 2012 am Münchner Wittelsbacherplatz rote Zahlen ab, und zwar in wachsender Tendenz. Seit Mitte 2013 scannen die deutschen Manager die weltweite Branchenszene, um einen kapitalkräftigen Partner für ihre Metallurgie-Sarte an Land zu ziehen.

2013 und 2014 musste Siemens namhafte Beträge nach Linz überweisen, um die notwendige Liquidität sicherzustellen. Mit anderen Worten: Die Siemens VAI ist derzeit bilanztechnisch pleite. VAI-Manager sprechen inoffiziell von „dreistelligen Millionensummen“, die insgesamt benötigt worden wären, um das Werk am Laufen zu halten.

Schwierigkeiten in Linz Neuland

Für die Deutschen bedeuteten die Schwierigkeiten in Linz Neuland. Abgesehen von der permanenten Renitenz der Oberösterreicher war die VAI lange Jahre lang Lieferant stattlicher Ergebnisse: Die VAI hat seit dem Einstieg von 2005 bis 2011 rund 500 Mio. Euro an Dividenden abgeliefert. In all den Jahren blieben die Linzer Anlagenbauer in der glatten Siemens-Konzernstruktur so auffällig wie Pumuckl bei den Wiener Sängerknaben.

Die Anlagenbauer aus Linz passen in mehrfacher Hinsicht nicht zum Konzern: Der Metallurgie-Bereich war und ist den Deutschen mit seinem Projektgeschäft stets fremd geblieben. Daran haben auch die Erfahrungen mit dem deutschen Konkurrenten der VAI und Weltmarktführer, der SMS Siemag, nichts geändert, an der Siemens bis 2006 zu 28 Prozent beteiligt war. Auch dort passte schon die Errichtung von Stahl- und Aluminium-Anlagen technologisch, branchenmäßig und projekttechnisch nicht zu dem stark strukturierten Weltkonzern, der eher nach den Prinzipien einer Bank denn eines Anlagenbauers geführt wird.

Siemens ist im Anlagenbereich ein Komponentenanbieter, der seine Maschinen verkaufen will. Die VAI ist ein Systemanbieter, der ganze Werke nach seiner Technologie errichtet – und der bis zum Siemens-Einstieg in seinen Angeboten nicht auf bestimmte Maschinen und Antriebstechniken fixiert war. Den Risiko- und Controlling-Managern von Siemens war das schwer standardisierbare Projektgeschäft der VAI immer ein Dorn im Auge.

In Asien werden noch neue Stahlhütten errichtet, aber auch dort geht es immer öfter um Ersatzinvestitionen: Anlagen sollen durch moderne Technologie produktiver, energieeffizienter und emissionsreduziert arbeiten – eine Nachfrage, die die Linzer technologisch durchaus befriedigen könnten.

Das Problem der letzten Jahre: Die Angebote der Siemens VAI unterlagen zu oft jenen der Hauptmitbewerber von SMS Siemag und Danieli (Italien). Die Siemens VAI ist derzeit im Bereich der Kosten und der Flexibilität nicht wettbewerbsfähig. Ein VAI-Projektverantwortlicher nannte dies den „ZRG-Schei...“. Damit meinte er die „Zentralen Regeln des Geschäftsverkehrs“ von Siemens, die konzernweit die Vorgangsweisen und Abläufe einer Projektakquisition festschreiben und den Verhandlern vor Ort jede Handschlagqualität nehmen.

Was nicht in München und Linz abgesegnet ist, kann in keinen Vertrag. Wenn ein Kunde in letzter Sekunde noch kleine Änderungen wünscht – was aus verhandlungstaktischen Gründen in China oder im arabischen Raum praktisch immer vorkommt – müssen Siemens-VAI-Manager stammelnd zu ihren Telefonen greifen.

Zu den bürokratischen Vorgaben kommt ein Kostenproblem, das in den vergangenen Jahren zum einen durch tatsächliche personelle Überkapazitäten entstanden ist, zum anderen aber auch durch hohe Back-Office-Kosten verursacht wird. Linz muss an Erlangen und München für Konzernleistungen bezahlen. Siemens-Kalkulationen starten aufgrund der Konzernregeln mit einem Rucksack, der für Anlagenbau-Geschäfte unüblich ist und zu VA-Tech-Zeiten noch nicht geschultert werden musste.

Vertrieb und Flexibilität: Ungenügend

Eine der ersten Maßnahmen von Siemens nach der Übernahme der VA Tech 2005 war die Gleichschaltung der Unternehmensstrukturen. Die VAI-Vertriebsgesellschaften wurden in die jeweiligen Siemens-Landesgesellschaften integriert.

Vor allem in den US-amerikanischen und asiatischen Märkten wurden die einstigen Landesfürsten der VAI zu viertrangigen Mitgliedern des jeweiligen Konzernbüros degradiert. Am Ende der Konflikte stand meist auch psychologisch das Match Deutschland gegen Österreich.

Und das ging aus wie immer: Das Zusammentreffen endete meist mit dem Abgang der Anlagenbauer. Dass die Nachfolger selten aus dem Projektgeschäft kamen, blieb auf Kundenseite nicht unbemerkt. Mit dem Einstieg von Siemens kam auch der Zwang, Siemens zu verkaufen. Die Techniker des Anlagenbaus sind in ihren Planungen gezwungen, ausschließlich Antriebstechnologie des Konzerns einzusetzen.

Was aus Konzernsicht logisch ist, brachte kostenseitig große Probleme mit sich. Die Linzer haben gegenüber ihren Konzernkollegen keinerlei Verhandlungsspielraum: Die Preise für die Siemens-Maschinen stehen fest – und sind dem Kunden oft nur schwer vermittelbar.

Gegenüber den herstellerneutralen Konkurrenten Siemag und Danieli kämpft die Siemens VAI gegen den Vorbehalt des Kunden, nicht die marktbeste, sondern die konzernbeste Anlage angeboten zu bekommen. Und das zu einem stolzen Preis.

Der Effekt wird durch den massenhaften Abgang erfahrener Projektmanager und Metallurgietechniker verstärkt, die nicht selten bei der Konkurrenz wieder auftauchen – und die meist vom Standort Linz stammen. Die VAI verlor dieses Jahr einen Auftrag in China im dreistelligen Millionenbereich, weil der Mitbewerber Danieli um 25 Mio. Euro billiger war – bei flexiblerer Technologie.

Linzer Manager halten es für keinen Zufall, dass der ehemalige Spitzenmanager der VAI, Werner Auer, bei dem italienischen Angebot federführend beteiligt war. Der Ex-VAI-Chef und einstmalige Finanzvorstand war von 1982 bis 2013 bei den Linzern beschäftigt und erst im Oktober des Vorjahres geschasst worden.

Keine Comeback-Jobs

Der Linzer Industrieanlagenbau ist nicht das erste Mal auf Grund gelaufen. Aber diesmal besteht die Gefahr, dass die Auswirkungen irreversibel sind. Bereits 1999 war die VAI ergebnismäßig an die Wand gefahren. Die Errichtung des saudi-arabischen Stahlwerks Hadeed erwies sich damals als einziges Finanzdesaster.

Die VAI benötigte 100 Mio. Euro von der Mutter VA Tech, um weitermachen zu können. Im Anschluss daran machte sich eine neue Unternehmensführung ans Aufräumen. Sie löste allein am Standort Linz 1250 Jobs auf, setzte neue Vertriebsstrukturen auf und forcierte die F&E-Ausgaben. Als 2002 die Stahlkonjunktur wieder ansprang, profitierten die Linzer überproportional.

2005 waren mehr Mitarbeiter am Standort Linz beschäftigt als vor der Entlassungswelle. Parallelen zur aktuellen Situation treffen aber nur teilweise zu. Damals wie heute waren radikale Sanierungsschritte in der VAI notwendig. Vor 14 Jahren schlug das Herz des Technologieunternehmens aber in Linz, wohin die Jobs bei verbesserter Unternehmenssituation auch zurückkehrten.

Ab kommendem Jahr wird in den Headquartern in Erlangen und London entschieden, wo die Zukunft und die Arbeitsplätze des noch namenlosen neuen Joint Ventures liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass neue Arbeitsplätze bei verbesserter Auftragslage wieder an der Donau entstehen, ist mit der Verlegung der Unternehmenszentrale deutlich gesunken. Bleibt für die verbleibenden VAI-Manager das Prinzip Hoffnung. Die stirbt bekanntlich immer zuletzt.

Zum Unternehmen

Das Linzer Anlagenbauunternehmen VAI Metals Technologies GmbH ist der Metallurgiezweig von Siemens Industrial Solutions and Services (ehemals Siemens Industrial Solutions and Services). Hauptprodukte des Unternehmens sind Anlagen zur Metallerzeugung- und -verarbeitung. Als bedeutendste Erfindung des Unternehmens gilt das LD Verfahren, nach dem heute über 50 Prozent der Stahlwerke weltweit betrieben werden. Ebenfalls bedeutend ist das Corex-Verfahren, das von der VAI zur Marktreife entwickelt worden ist.

Die Produktpalette des Unternehmens mit den drei Rauten (Mitsu = drei, hishi = Raute) ist breit gefächert: Von Atomkraftwerken über Panzer bis zu Schiffen, Windkraftwerken, Weltraumraketen und Zügen reicht das Angebot.

Nur Autos fehlen im Portfolio des 70.000-Mitarbeiter-Konzerns. Die Sparte war schon vor Jahrzehnten aus MHI ausgegründet worden, das nur 15 Prozent der Anteile am Fahrzeughersteller Mitsubishi Motors hält. Im Bilanzjahr 2013 steigerte der Konzern seinen Umsatz um 16 Prozent auf umgerechnet 24 Milliarden Euro.

Der Betriebsgewinn stieg sogar um ein Fünftel auf 1,5 Milliarden Euro. Im Mai folgte dann die Ankündigung, dass MHI und Siemensihr Stahlanlagengeschäft zusammenlegen wollen. Miitsubishi fand sich im Frühsommer auch auf der Bieterseite mit Siemens, als es vergeblich darum ging, den französischen Alstom-Konzern zu übernehmen.

Die relativ kleine Metallurgiesparte der Japaner hat ihre Stärken im Bereich des Warm- und Kaltwalzens, eine stete Schwäche im Linzer Technologieanbot. Zudem erhoffen sich die Linzer deutlichen Rückenwind bei Akquisitionen in Asien, vor allem in China und Indien.