Energie : Energiecontracting: Mit Brief und Siegel

Es war das Schema F – und lange sprudelten die Gewinne: Der Energiedienstleister liefert die Energie und die Industrie zahlt – an diesem schönen und einfachen Schema hielt die Branche lange fest. Doch es wird zu einem Auslaufmodell. Die Energiewende ist dabei, den gesamten Energiemarkt umzuwälzen: Die dezentrale Produktion nimmt massiv zu, die Bereitstellung von Energie wird in hohem Maße volatil.

Zeitgleich suchen industrielle Verbraucher immer intensiver nach Einsparungen oder kaufen ihre Energie gleich selbst an der Börse. Für große Energieproduzenten ist der Abschied von dieser „alten Welt“, wie sie die Branche nennt, schmerzhaft. Die einen, vor allem in Deutschland, setzen auf Entlassungen. Die anderen rüsten ihre Kapazitäten bei den Erneuerbaren fieberhaft nach. Wiederum andere versuchen, das Beste aus dem enormen Druck zu machen – wie auch der Verbund. Die von Konzernchef Wolfgang Anzengruber ausgerufene Devise: Weg von der reinen Energielieferung, hin zu einem umfassenden Energiedienstleister.

Lockvogel Energiecontracting

Gerade gegenüber der Industrie will sich der größte heimische Energiekonzern neu positionieren, um so ein Gegengewicht zu seinen Problemen mit dem fallenden Strompreis und unrentablen Gaskraftwerken zu bilden. Konkret hat der Verbund zusammen mit Partnern neue Projekte gestartet, die sich dezidiert an Großverbraucher wenden. Dabei geht es um Energieberatung und um die Vermarktung flexibler Energiekapazitäten.

Zu wenig Interesse der Industrie am Energiecontracting befürchten die Verbund-Manager jedenfalls nicht. Das Angebot umfasst die Errichtung und den Betrieb von Energieerzeugungsanlagen direkt beim Hersteller. Besonders im Fokus stehen die Bereiche Wärme, Kälte, Dampf, Druckluft und Strom. Das stärkste Verkaufsargument des Versorgers: Mit Energiecontracting könnten Betriebe bis zu einem Viertel ihrer Energiekosten einsparen. Dazu schickt der Verbund noch einen „Lockvogel“ mit: Bei Bedarf wird auch die Errichtung einer Anlage vorfinanziert – und so die Bilanz eines Herstellers auf Jahre entlastet.

Den Service bietet der Verbund zusammen mit der ostdeutschen Firma Getec über ein Gemeinschaftsunternehmen an, an dem beide jeweils die Hälfte halten. Den Grund für die Kooperation erklären Verbund-Manager so: Der Energieversorger habe große Erfahrung in der Projektierung von Kraftwerken und großen Anlagen sowie im Einkauf von Energie.

Getec dagegen sei auf mittelgroße Anlagen spezialisiert. Tatsächlich erwirtschaften die 900 Mitarbeiter der Firma einen Jahresumsatz von 750 Millionen Euro und betreuen aktuell etwa 1000 Anlagen. Getec ist damit Marktführer für Energiecontracting in Deutschland. Firmengründer Karl Gerhold erklärt, wie das Konzept funktioniert: „Uns gehören die Anlagen, wir bauen, betreiben, warten und betreuen sie. Der Kunde zahlt die abgenommene Energie.“

Bei Kunden in Österreich seien im Idealfall Einsparungen von 20 bis 25 Prozent der Wärme- und Stromkosten möglich – zumindest aber fünf bis zehn Prozent, so die Verantwortlichen bei der Vorstellung der Initiative. Dem gegenüber stehen die Kosten. Gerhold zufolge bewegt sich das Investitionsvolumen für die meisten Anlagen zwischen einer und zehn Millionen Euro. Ein Heizkraftwerk lasse sich demnach für fünf bis sechs Millionen Euro errichten.

Druck über das EEffG

Doch abseits von allem Zweckoptimismus könnte das Angebot aus zwei Gründen tatsächlich seine Kunden finden. Erstens gebe es dafür großes Marktpotenzial, wie McKinsey bestätigt. Nach einer Analyse des Unternehmensberaters wartet in der EU ein Markt,

der zehn Milliarden Euro allein an Einnahmen generieren könnte.

„Das entsprechende Vertragsvolumen ist noch weitaus höher“, so Wolfgang Anzengruber bei der Vorstellung der Initiative. Der zweite Grund ist das Energieeffizienzgesetz (EEffG), das in Österreich diesen Sommer auf den Weg gebracht wurde. Demnach müssen Energieversorger pro Jahr 0,6 Prozent des an Kunden ausgelieferten Stromabsatzes einsparen (INDUSTRIEMAGAZIN berichtete in 07/2014). Für die Industrie ist das Gesetz weitaus milder ausgefallen als befürchtet, doch auch Unternehmen sind verpflichtet, Energie- audits oder Energiemanagementsysteme einzuführen. Genau hier will der Verbund den großen Produzenten entgegenkommen.

„Das Energieeffizienzgesetz wird dem Thema einen Boost geben – weil Contracting helfen kann, die vorgegebenen Ziele zu erreichen“, so Martin Wagner, Geschäftsführer von Verbund Solutions. „Wegen der Novelle sind bei den Betrieben viele Projekte in der Pipeline oder schon knapp vor der Umsetzung. Und viele sind auch bereit, Anlagen über Contracting umzusetzen.“

„Wir wollen auch bauen“

Freilich erwartet niemand, dass jetzt viele Hersteller nur wegen des EEffG plötzlich neue Anlagen bauen. Entsprechend sieht Wagner die stärkste Nachfrage in Ersatzbauten sowie in der Erweiterung bestehender Anlagen. Seine Beobachtungen bei den Kunden vor Ort beschreibt er so: „Es ist verblüffend, was immer noch an ineffizienten Anlagen herumsteht, auch bei großen Produzenten. Die wurden in Zeiten schnellen Wachstums in Betrieb genommen und laufen einfach bis heute.“

Der Service beinhaltet ausdrücklich nicht nur den Betrieb einer Anlage – es fängt mit der Konzeption und Planung an und geht über Finanzierung und Errichtung bis hin zum Einsatz während der Produktion, wobei Betrieb, Wartung, Notdienst und Instandhaltung abgedeckt werden. Auch Rohstoffe für die Energiegewinnung sowie thermische und elektrische Leistung können während der Laufzeit bereitgestellt werden. Doch die Anbieter wollen ausdrücklich Dienstleistungen über den reinen Betrieb hinaus bereitstellen, wie Wagner erklärt: „Grundsätzlich wollen wir die Anlage auch errichten.“

Getec: Verweis auf Referenzen

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigen die bereits umgesetzten Projekte von Getec. Dem Wellpappenhersteller Julius Schulte Trebsen finanzierte und baute das Unternehmen eine mit Braunkohlestaub befeuerte Kraft-Wärme-Kopplungsanlage und ein mit Gas betriebenes Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk. Getec übernimmt auch die Instandhaltung, das Brennstoffmanagement und liefert zusätzlich Wärme an den Hersteller.

Doch die Anlagenkombination erzeugt rund 60 t/h Dampf und 10 Megawatt Strom – beides deutlich wirtschaftlicher als die früheren Gaskessel und billiger als der Strom aus dem öffentlichen Netz. Bei einem anderen Kunden, dem deutschen Nahrungsmittelhersteller Uelzena, errichtete Getec eine neue KWK-Anlage und ein mehrmoduliges Blockheizkraftwerk.

Auch hier wurde der Hersteller bei der Finanzierung unterstützt, zusätzlich übernimmt Getec die Wartung und die Erdgaslieferung und stellt thermische und elektrische Leistung bereit. Die Anlage sei mit einem Wirkungsgrad von 84 Prozent hocheffizient im Vergleich zur getrennten Erzeugung von Strom und Wärme – und der CO2-Ausstoß in der Produktion wurde um rund 25 Prozent reduziert. Allerdings: Zu den finanziellen Eckdaten dieser Deals verrät Getec nichts.

Geld für Flexibilität

Die Energieberatung – das zweite große Projekt des Verbund – läuft über das „Eco-Net“. Ein Netzwerk, bei dem sich acht bis zwölf Partner vernetzen und gemeinsam ein konkretes Einsparungsziel verfolgen, begleitet von Beratern vom Verbund und basierend auf einem Konzept des Fraunhofer-Instituts. Das erste Netzwerk dieser Art startete heuer im Herbst. Die Initiatoren verweisen stolz auf einige namhafte Mitglieder, darunter Magna und AMAG.

Zum anderen können industrielle Betriebe die flexiblen Anteile ihrer Energieerzeugung und ihres Bedarfs über den „Power Pool“, eine Art virtuelles Kraftwerk, managen – und direkt verkaufen. Der Clou: Für den Hersteller bleibt die Prozesskontrolle vollkommen aufrecht. Doch zugleich werden Überschüsse in der Energieerzeugung und flexible Anpassungen des Verbrauchs am Regelenergiemarkt vermarktet.

Nach den Worten von Martin Wagner, Geschäftsführer von Verbund Solutions, können Industriebetriebe derzeit für ein Megawatt Leistung am Tertiärmarkt etwa 25.000 Euro Erlös erzielen. Das gesamte technische Potential für solche virtuellen Kraftwerke schätzt Wagner in Österreich auf rund 600 Megawatt – so viel wie drei Donaukraftwerke.

Jetzt ist der erste „Power Pool“ startklar, an Bord sind zwei große Hersteller aus der Papier- und Kartonageindustrie. Nach der letzten Genehmigung soll es Mitte November losgehen.