Transport : Fünf Gründe, warum der freie Warenverkehr in Europa eine Illusion ist

Alexander Klacska hat ein neues Lieblingswort: „Interpretationsspielraum“. Der WKO-Spartenobmann für Transport und Verkehr hört es immer dann, wenn er in internationalen Gremien darauf hinweist, dass wieder einmal eine Regelung nicht nur dem Geist des gemeinsamen Marktes widerspreche, sondern sogar europäischem Recht. „In der letzten Zeit häufen sich die Versuche einzelner Mitgliedsstaaten der Union, vom europäischen Gedanken abzurücken und bei der Interpretation EU-rechtlicher Vorgaben Alleingänge zu starten.“ Die Folge: deutlich mehr Bürokratie und „teils heftige Wettbewerbsverzerrungen“. Besonders ärgert Klacska, dass sich diese Versuche oft unter dem hehren Mantel des Kampfes gegen Lohn- und Sozialdumping verbergen.

Und er interpretiert sie als Symptom einer schwachen gesamteuropäischen Verkehrspolitik – „der Verkauf von europäischen Häfen an die Chinesen war in meinen Augen zum Beispiel ein absolutes No-Go. Ich kann derzeit keinerlei europäische Vision erkennen.“ Was man gegen nationale Alleingänge tun kann? „Klinken putzen“, sagt Klacska, „klassisches Lobbying im Verbund mit den Interessenvertretungen anderer Länder“. INDUSTRIEMAGAZIN hat einige aktuelle Anlässe für das Klinkenputzen gesammelt.

1. Diffuse Regeln für Ruhezeiten - Frankreich und Belgien verbieten das Verbringen der langen Ruhezeiten im Fahrzeug

Lkw-Fahrer haben einmal pro Woche eine „regelmäßige Ruhezeit“ von 45 Stunden am Stück einzuhalten. Die allermeisten tun dies im Fahrzeug selbst, was natürlich nur erlaubt ist, wenn dieses mit einer adäquaten Schlafkabine ausgestattet ist. Eine europaweit bewährte Praxis, die Frankreich und Belgien im vergangenen Sommer verboten. Und bemerkenswert hart sanktionieren: Unternehmen, deren Mitarbeiter beim Schlafen im Fahrzeug erwischt werden, kassieren bis zu fünfstellige Geldstrafen. Im Wiederholungsfall droht dem Geschäftsführer Gefängnis. Der rechtlich gedeckte Weg führt also in Motels. Nur dass diese teuer, oft in schlechtem Zustand und vor allem rar gesät sind. „Ich will nicht, dass meine Fahrer in irgendeiner verlausten Absteige schlafen müssen“, ärgert sich Alexander Klacska, „vielleicht sollten wir ihnen am besten gleich Zelte mitgeben.“ Und die Verbote sind auch nicht zu Ende gedacht. Was soll etwa mit Gefahrguttransporten geschehen, die der Fahrer nur verlassen darf, wenn ein bewachter Abstellplatz zur Verfügung steht?

2. Beliebige Nachweispflichten - der Nachweis der Schadstoffklasse ist europaweit unterschiedlich geregelt

Für Fahrten durch Umweltzonen zur Verbesserung der Luftqualität benötigt man einen Aufkleber zur Kennzeichnung der Schadstoffklasse an seinem Fahrzeug. „Möglichkeiten für Übereinkünfte zur gegenseitigen Anerkennung von Kennzeichnungen werden mit Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes laufend erörtert“, heißt es auf der Homepage des Umweltministeriums. Mit wenig Erfolg, wie es scheint. Wer etwa durch eine deutsche Umweltzone fahren will, benötigt eine deutsche Plakette. Die ist rot, grün oder gelb statt magentafarbig, sonst sagt sie das Gleiche aus. Alternativen, wie etwa die Ab-Werk-Ausstattung von Lkw mit einer fixen Plakette, die über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeuges auch dort bleibt und nur bei Einbau eines Motors mit anderer Schadstoffklasse ausgewechselt wird, scheinen unerreichbar. Also sammeln Berufskraftfahrer weiterhin Aufkleber.

3. Protokoll-Ärgernisse - die Dokumentation über die Kontrollgeräte ist uneinheitlich geregelt

Berufslenker müssen prinzipiell protokollieren, was sie wann tun. Gewisse Ereignisse, wie etwa die Lenkzeiten, werden von den Kontrollgeräten automatisch aufgezeichnet. Anderes können die Fahrer manuell über die Kontrollgeräte nachtragen. Zusätzlich gibt es in der Europäischen Union das „EU-Formblatt zur Bescheinigung von Tätigkeiten“, in das die Unternehmen beziehungsweise die Lenker zum Beispiel Krankenstände oder Urlaube eintragen und das sie mit sich zu führen haben. Das deutsche Bundesamt für Güterverkehr steht hingegen laut Wirtschaftskammer nun auf dem Standpunkt, diese Informationen seien „nicht formblattfähig“ und müssten daher ins Kontrollgerät eingegeben werden. Soll heißen: Ein in einem EU-Mitgliedsstaat gesetzeskonform ausgefülltes EU-Formular ist im nächsten EU-Staat ungültig.

4. Papierkram - nationale Systeme wie in Ungarn oder Italien ziehen neue administrative Wälle hoch

Mit Jahresbeginn 2015 führte Ungarn ein neues – nationales – elektronisches Kontrollsystem für den Landverkehr ein. Das „EKAER“-System ist eine Maßnahme gegen den in Ungarn problematische Ausmaße annehmenden Umsatzsteuerbetrug. Von der Anmeldepflicht sind vor allem Lkw-Lieferungen betroffen, die der Mautpflicht unterliegen. Bei manchen Produkten müssen auch kleinere Lieferungen gemeldet werden. Italien führte schon 2013 das „SISTRI“-System ein, eine eigene Eintragungspflicht für Unternehmen, die gewerbsmäßig gefährliche Sonderabfälle transportieren. Seit dem 1. April dieses Jahres werden bei fehlender Eintragung in das System oder nicht einbezahlten Jahresbeträgen auch Verwaltungsstrafen verhängt.Und es gibt zahlreiche kleinere Beispiele. So führen etwa unterschiedliche Führerscheinnummern in Führerschein und Fahrerkarte in einigen Ländern zu Problemen bei Kontrollen – in anderen nicht.

5. Erschwerter Transit - das deutsche Mindestlohngesetz sorgte schon vor Inkrafttreten für Ärger

Bereits zu den Klassikern zwischennationaler Irritation gehört das deutsche Mindestlohngesetz, obwohl es erst im Jänner dieses Jahres in Kraft trat. Auch in diesem Fall ist die zugrunde liegende Intention, der Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping, in der Branche unumstritten – unqualifizierte Konkurrenz zu Dumpingpreisen schadet den Frächtern in allen EU-Staaten massiv. Doch neben heftiger innerdeutscher Kritik gibt es auch internationale Bedenken. Für Transportunternehmer bringt die neue Gesetzeslage einerseits immensen administrativen Mehraufwand und enorme Strafandrohungen von bis zu 500.000 Euro. Die umfassenden Melde- und Bereithaltungspflichten des MiLoG haben etwa zur Folge, dass jeder Lkw- oder Bus-Lenker, der das Bundesgebiet befährt, vorab registriert werden muss. Kurzfristige Disposition ist somit deutlich schwieriger geworden.