Cloud Computing : Mit der Daten-Cloud in die Produktion der Zukunft

schematische Darstellung einer Rechnerwolke mit drei Computern
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Tablet oder Smartphone: Beides ist willkommen. „Zum Einsatz kommt, was gerade zur Hand ist“, schmunzelt Wolfgang Hirmann. Er ist Geschäftsführer des auf Einbruchschutz spezialisierten Anbieters Essecca und von der Wolke überzeugt. Schon beim Kunden planen die Niederösterreicher, wie die Produktion und Montage eines gerade erst geoorderten Sicherheitssystems zu gestalten ist. Auch dann beziehen die Mitarbeiter ihre Daten aus der Cloud.

„Wir können dadurch die Servicequalität beim Kunden deutlich erhöhen“, sagt Hirmann. Er hat sich für die Cloud-Lösung übrigens erst in dem Moment entschieden, als Essecca aus dem viel größeren EVVA-Konzern ausgegliedert wurde und der Betrieb auch in der IT eine neue, schlankere Struktur brauchte.

Wenn eine Wolke über verbranntem Land abregnet, entsteht neues Leben. Bei einer Daten-Cloud ist es ganz ähnlich. Oft erweckt sie die Produktion überhaupt erst zum Leben. Nur, dass es aus der Datenwolke statt Wasser Bits und Bytes regnet.

Wenn der Automobilriese Magna seine Werke innerhalb von Monaten rund um den Erdball ausrollen kann und diese auch blitzschnell über Kontinente hinweg verlegt, dann geht das nur aus einem Grund: Weil die für den Betrieb benötigte IT in der Cloud von Anfang an virtuell vorhanden war.

Wenn Lüdecke Industries Flughäfen mit kompletten Fördersystemen versorgt und irgendwo am Ende der Welt, weit weg vom Stammsitz, Anlagen aufbaut, Bänder montiert und Leitungen in halbfertigen Hallen verlegt: Auch dann kommt alles, was die Monteure in der Ödnis vor Ort brauchen, aus der Wolke. Und die Kommunikation zwischen ihnen, dem Kunden und der Zentrale erledigt die Wolke auch gleich mit.

Und trotzdem sind es meist äußere Umstände wie Zukäufe oder Übernahmen, die Unternehmen dazu veranlassen, sich als digitale Wolkentänzer zu versuchen. Ohne einen Anstoß von außen kommen eher wenige auf diese Idee.

„Auch wenn die große Aufmerksamkeit, die das Thema Cloud derzeit medial bekommt, suggeriert, dass inzwischen fast alle diese Technologie nützen, sieht die Wirklichkeit etwas anders aus“, bestätigt Rainer Kalkbrener Vorstandsvorsitzender der ACP-Gruppe, die auch Essecca betreut, das allgemeine Zögern.

Viele Unternehmen seien eben noch in der Phase des Abwägens, ob man den Schritt in die Wolke wagen möchte oder nicht. Nach seiner Prognose für die kommenden zwei, drei Jahre gefragt, antwortet Kalkbrener allerdings recht überzeugt: „Wir rechnen fix damit, dass Cloud-Anwendungen dann wirklich in der Mitte der produzierenden Industrie angekommen sein werden und dass eine breite Masse den Pionieren, die die Cloud jetzt schon nutzen, folgen wird.“

Dass für Cloud-Dienste in Unternehmen derzeit noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, belegen auch jene Zahlen, die Microsoft heuer unter österreichischen Wirtschaftstreibenden erhoben hat: Fast jeder zweite Befragte äußerte zum Beispiel Zweifel an der Sicherheit der Cloud-Technologie.

Und die Studie zeigte auch, dass in den meisten Unternehmen immer noch vor allem die simplen Anwendungen in die Cloud ausgelagert werden: E-Mail-Programme, Dokumententausch, Back-ups. Produktionssteuerung aus der Wolke hingegen, wie sie etwa beim Verpackungshersteller Duropack betrieben wird, ist nach wie vor ein Avantgardeprogramm mit Seltenheitswert. Und das nicht nur deshalb, weil viele österreichische Unternehmen gar keine Produktion besitzen.

Dabei könnten ausgerechnet jene, die heute noch Berührungsängste mit der Cloud haben, morgen schon am allermeisten von ihr profitieren. Mehr noch: Die Wolke könnte zu jenem Feature werden, das im digitalen Darwinismus von Industrie 4.0 über das Sein oder Nicht-Sein entscheidet.

Denn mit der Herausforderung Industrie 4.0 werden gerade auf den produzierenden Mittelstand Aufgaben zukommen, die er IT-technisch allein nicht mehr lösen wird können. Wie denn auch, wenn aus einer Automatisierung, die darin besteht, dass Maschinen das tun, was ihnen eine höhere Instanz, der Mensch, vorschreibt, eine Welt entstehen soll, in der Maschinen weitgehend autonom miteinander kommunizieren, Produktzyklen sich von selbst optimieren und Losgröße eins als absolut alltäglich erscheint.

Monika Zesch, für den Bereich Business bei T-Mobile zuständig, ist daher nicht allein, wenn sie die Entwicklung von Industrie 4.0 untrennbar mit Cloud Computing verbunden sieht. „Im Begriff Cloud Computing stecken auch die Themen Machine-to-Machine-Kommunikation, Prozessoptimierung und Mobilisierung der Workforce“, sagt sie.

Wobei es hier durchaus noch einiges an Holz zu hacken gibt, bis das schöne Ideal einer sich selbst steuernden Industrie tatsächlich Wirklichkeit wird. Heute scheitern Unternehmen bei ihrem Weg in die digitale Zukunft vielfach noch nicht einmal daran, dass sie ihre Daten unstrukturiert und somit ziemlich nutzlos speichern.

Der Großteil kämpft noch auf einem viel niedrigeren Level. Er scheitert schon daran, dass ein Teil der in der Produktion erfassten Daten digital, ein anderer aber noch immer analog abgelesen wird, an älteren Maschinen zum Beispiel.

Da wird Cloud Computing, vom allgegen- wärtigen Schlagwort Big Data einmal ganz zu schweigen, schwierig. Wenn auch nicht unmöglich: Der österreichische Automatisierungsspezialist Weidmüller zum Beispiel bietet inzwischen ein System an, das analoge Daten ausliest, digitalisiert und sie in einer Wolke ablegt. Damit können produzierende Unternehmen für Industrie 4.0 fit gemacht werden, ohne dass sie auf einen Schlag den gesamten Maschinenpark austauschen müssten.

Was allerdings erst ein aus dem Weg geräumter Stolperstein unter vielen ist. Ein anderer besteht darin, dass sehr viele Industrieunternehmen heute vor der Schwierigkeit stehen, historisch gewachsene, sehr heterogene IT-Landschaften zusammenzuführen.

Sehr oft stellt sich diese Frage nach Marktbereinigungen, wenn aus mehreren bislang autonomen Einheiten plötzlich eine einzige wird, wenn auf einmal völlig unterschiedliche ERP-Lösungen nebeneinander stehen, die man nun zusammenführen muss. „Eine Verlagerung in die Cloud ist hier eine wichtige Optimierungsoption“, sagt Volker Schinkel, der beim Business-Soft- ware-Anbieter Infor als Vicepresident für den Bereich ERP zuständig ist.

Für eine Entscheidung, die ERP in die Wolke zu verlegen, spricht neben gängigen cloudspezifischen Vorteilen wie Dynamik, ortsunabhängige Verfügbarkeit oder Kostenersparnis auch die Möglichkeit, die verwendete ERP-Software problemlos und ohne Verzögerung auf neue Versionen updaten zu können.

Theoretisch ist das auch bei hausinternen ERP-Lösungen möglich. Erfahrungen aus der Praxis zeigen allerdings, dass bei Hauslösungen an der Standard-ERP-Software mit der Zeit so viele Veränderungen vorgenommen werden, dass es einen ziemlichen Aufwand bedeutet, diese Veränderungen dann auch in eine neue Version zu überführen.

Weshalb mit Updates gern zugewartet wird, oft länger als es dem Unter- nehmen gut tut. Bei ERP aus der Cloud stellt sich diese Frage nicht. „Das ist sicher ein wesentlicher Punkt. Denn je automatisierter die Produktion wird, desto wichtiger wird es auch, Software- Updates so zeitnah wie möglich durchzuführen“, sagt Schinkel.

Inzwischen gibt es ERP aus der Wolke übrigens auch auf hoher See. Beim niederländischen Boskalis-Konzern, der unter anderem auch Offshore-Infrastruktur auf See errichtet und eine Flotte von mehreren hundert Schiffen unterhält, werden die Ressourcen dieser Schiffe aus der Wolke verwaltet.

„Früher hatte jedes Schiff ein eigenes kleines ERP- System. Durch die Verlagerung dieser Systeme in die Cloud ergeben sich für den Betreiber Vorteile im Bereich der Instandhaltung, bei der externen Steuerbarkeit der Flotte, aber eben auch, wenn es darum geht, das ERP-System regelmäßig upzudaten“, erklärt Schinkel.

Im ERP-Bereich kann eine gute Cloud-Lösung letztlich auch leichtere Bedienbarkeit der Software und dadurch eine beträchtliche Zeitersparnis bei der Arbeit mit Daten nach sich ziehen.

„Ein modernes Userinterface, das nicht nur am PC, sondern auch auf mobilen Geräten zur Verfügung steht, bedeutet eine enorme Reduktion der notwendigen Einzelschritte, die nötig sind, bis eine bestimmte Information eingegeben ist oder abgerufen werden kann“, sagt Jürgen Weiss, Sales Director bei Oracle. „Das können bis zu vierzig Prozent sein.“

Cloud- Trends, auf die sich die produzierende Industrie noch stärker als bisher einstellen wird müssen, sieht Weiss aber vor allem im Bereich des Marketings. Oder besser formuliert, in der Möglichkeit, das Marketing gerade dort zu verbessern, wo es ein mehrstufiger, langer Prozess ist: bei komplexen Produkten wie Anlagen und Maschinen, die man nicht gerade im Sechserpack verkauft.

Hier ermöglicht die Wolke allen am Verkauf Beteiligten, das Verhalten von potenziellen Kunden zu verfolgen. Auf einen Blick wird zum Beispiel sichtbar, wer mit welcher Häufigkeit welche Newsletter nutzt, wer bei welchen verkaufsbezogenen Events war und natürlich mit wem bereits welche Gespräche geführt wurden.

Eine solche stets verfügbare und stets aktuelle Dokumentation aus der Wolke erlaubt es, einerseits keinen wichtigen Kundenkontakt zu versäumen, andererseits aber auch gezielt jene Kunden anzusprechen, bei denen die Chancen für einen Verkaufserfolg am besten sind.

Viel Potenzial ortet Weiss auch bei Transport- und Logistikkosten, vor allem bei Unternehmen, die an mehreren Standorten produzieren. Hier gehen Schätzungen davon aus, dass durch bessere Organisation, die sich aus der wolkenbedingten Verfügbarkeit von Daten ergibt, ein Einsparungspotenzial von bis zu zehn Prozent entsteht. Dort, wo die Wege innerhalb der Supply Chain vorher noch gar nicht optimiert wurden, eventuell auch mehr.

Und dennoch: Die Bereitschaft, mehr als den E-Mail- Verkehr und ein paar Fotos von der letzten Betriebsfeier in die Wolke auszulagern, ist bei den meisten österreichischen Unternehmen schwach bis gar nicht ausgeprägt. Was, abseits von NSA-Skandal und Spionagebefürchtungen, auch daran liegen mag, dass der deutschsprachige Manager prinzipiell eher die Neigung zu mehr als weniger Kontrolle hat und er die Idee, Unternehmensdaten außerhalb des Hauses zu lagern, daher fürs Erste einmal wenig ansprechend findet.

Wenn die Entscheidung, in die Cloud zu gehen, dann doch fällt, dann letztlich fast immer unter Kostendruck. Was wenig überrascht, denn je größer die mit Industrie 4.0 verbundenen IT-technischen Anforderungen werden, desto mehr Know-how und Arbeitskraft muss dafür hausintern abgestellt werden.

Doch auch, wenn ausgelagert wird, bleiben Bedenken um die Datensicherheit bleiben. Die Cloud-Anbieter versuchen ihnen auf unterschiedliche Art und Weise beizukommen.

Bei T-Systems, wo man sich unter anderem auch um die Wolke von Wienerberger kümmert, wird zum Beispiel großer Wert darauf gelegt, dass man das eigene Rechenzentrum in Wien für alle Fälle gleich zweimal auf- gesetzt hat: einmal am Hauptsitz und einmal, komplett gespiegelt, an einem anderen Standort in Wien. Damit seien die Daten auch bei einem etwaigen Totalausfall nicht nur sicher, sondern innerhalb von Sekunden für den Kunden wieder verfügbar.

Die oft geäußerten Ängste vor Spionageattacken aus dem Ausland nimmt wiederum Helmut Fallman, Vorstandsmitglied bei Fabasoft, zum Anlass, um seine Strategie im Kampf um den Cloud-Kunden zu skizzieren. Ja, die Bedenken und der Unwille, seine Geschäftsdaten irgendwo zu speichern, wo nicht klar ist, wer darauf zugreifen könnte, sei nachvollziehbar, meint er.

Die Lösung, die er sieht und auch anbietet, ist „Cloud Computing ‚made in Europe‘, dessen Geschäftsmodell nachweislich an den europäischen Datenschutz angepasst ist“.

Den Gedanken einer lokalen, sozusagen amerikafreien Wolke verfolgt auch Interxion, ein Cloud-Anbieter, der Rechenzentren in elf europäischen Ländern unterhält und hierzulande unter anderem damit wirbt, dass Daten, die im Wiener Rechenzentrum des Unternehmens gehostet werden, Österreich garantiert nicht verlassen.

Während viele IT-Spezialisten den Kunden die Angst vor der Wolke durch das Versprechen von noch mehr Sicherheit, noch mehr Back-up zu nehmen versuchen, macht Helmut Pöllinger von Brainloop auch auf einen anderen Punkt aufmerksam. Er fordert, dass Cloud-Anbieter sich schon jetzt mit einer Frage auseinandersetzen, die sie im Moment lieber ausblenden: Was passiert, wenn trotz aller Sicherungen Daten dennoch einmal verloren gehen? Wie sehen dann die Haftungsfragen aus?

„Natürlich versucht jeder Anbieter seinen Kunden die größtmögliche Sicherheit zu bieten. Wir tun das auch und ich bin überzeugt, dass wir das in einer hervorragenden Qualität tun, die nicht viele leisten können. Hundertprozentige Sicherheit gibt es aber nirgends.

Haftungsfragen vorab offen zu besprechen ist daher wichtig. Ich halte das für einen seriöseren Zugang“, sagt Pöllinger. Dass gerade im industriellen Umfeld an Fragen dieser Art nicht immer gedacht wird, erklärt sich Pöllinger mit der „hemdsärmligen Art“ der Branche.

„Das sind oft sehr real denkende Menschen, die mit Dingen wie einer Cloud, die virtuell existieren, nicht immer so viel anfangen können.“

Umso wichtiger sei es daher, gerade bei solchen Kunden das Bewusstsein für die Chancen, aber auch Risiken der Technologie zu schärfen. Und Lösungen zu finden, die halten. Denn anders als in der Wetterküche, wo eine Wolke nur dann abregnet, wenn es ihr gerade passt, sollte der Datenfluss aus der Cloud beständig bleiben. Damit neues Businessleben keimen und weiter- wachsen kann. Wie im richtigen Leben halt auch.